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Mut zur Demut
Eine Haltung für gute Koalitionen
11.04.2025 06:35
Eine archäologische Sensation aus Frankfurt am Main bringt zutage, was bei Koalitionen heute hilft. 
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Es war eine archäologische Sensation vor wenigen Monaten: Ein kleines Silberamulett mit dem frühesten christlichen Bekenntnis nördlich der Alpen, das bis heute gefunden wurde. Entdeckt in meiner Heimatstadt Frankfurt am Main. Vor 1.800 Jahren wurde hier ein Mann damit bestattet bei einer römischen Siedlung. Der Verstorbene hat ein Bekenntnis zu Jesus Christus um den Hals getragen, eingeritzt auf eine dünne Silberfolie. Sie ist zu einem Amulett gerollt, etwas größer als drei Zentimeter. Entrollt wäre es kaputt gegangen. Mit moderner Technik konnte man die Schrift in der Rolle scannen und entziffern.

Ich denke an diesen Mann und sein Bekenntnis am Ende einer Woche mit der Koalitionsvereinbarung, ein wichtiger Schritt zur Regierungsbildung. Ich denke an die Worte auf dem Silberamulett, weil sie auf eine Haltung anspielen, mit der friedliche und freiwillige Vereinbarungen gelingen können. Auch Koalitionen. Es geht um die Haltung der Demut.

Demut ist ein Wort aus alter Zeit. Und ist doch nötig, wo es weltweit mehr und mehr um Einzelinteressen geht und immer mehr auf dem eigenen Standpunkt beharren. Ohne Demut kann man keine Kompromisse schließen. Zu ihr gehören Bescheidenheit, Mäßigung und Klugheit. Mit ihr übernehme ich Verantwortung - auch für eigene Fehler.

Wer demütig ist, ist aber nicht unterwürfig. Er und sie ist sich eigener Stärken wohl bewusst. Aber auch der Schwächen. Akzeptiert Unvollkommenheit. Demütige Menschen vermeiden übermäßigen Stolz und Anspruchsdenken. Pochen nicht auf den eigenen Status. Demut ist so etwas wie ein freiwilliger Status-Verzicht.

Die Inschrift auf dem antiken Silberamulett ist inspiriert von Worten des Neuen Testaments: "Jesus Christus, der das Ebenbild Gottes war, klammerte sich nicht daran, Gott gleich zu sein, sondern verzichtete darauf (…). Er erniedrigte sich selbst und war gehorsam bis zum Tod, ja, bis zum Tod am Kreuz."

Also bekennen sich der Mann im Grab aus römischer Zeit sowie Christen heute zu einem, der den höchsten Status hätte, aber darauf verzichtet hat. Jesus war Freund und Helfer der Geringen. Für Jesus Christus sind Oben und Unten anders gewichtet, als ich das oft selbst tue: Letzte werden Erste. Und umgekehrt. Jesus nimmt es sogar auf sich, als verurteilter Verbrecher am Kreuz zu sterben. Die Botschaft des christlichen Glaubens ist: Gott bekennt sich zu Jesus. Gott gibt dieser Haltung von Demut recht. 

Wir wissen nicht, ob und wie der Mann mit dem Silberamulett den christlichen Glauben gelebt hat. Ob er offen dazu stand oder heimlich Christ sein musste. Die meisten um ihn herum verehrten römische Göttinnen und Götter. Mehr noch: Der Kaiser von Rom ließ sich vergöttern.

Statt Machtkult zu betreiben, setzt das Bekenntnis zu Christus auf Demut. Sie ist kein Zeichen von Schwäche. Jesus, der Gottessohn, macht es vor. Er klammert nicht an seiner Position. Er zeigt Mut zum Dienen. 

Mut zur Demut braucht es in einer demokratischen Gesellschaft. Es braucht Menschen, die nicht sich selbst an erste Stelle setzen, sondern das Gemeinwohl.

Ich selbst brauche Mut zur Demut. Damit ich erkenne: Ringen um Macht und Status ist lebensfeindlich, auch das Mehr-Sein-Wollen als andere. Wer gottgleich der Höchste sein will, verhält sich in der Regel nicht menschlich.

Auch wenn Christen selbst dem nicht immer gerecht werden, überliefern sie doch diese Wahrheit: Statusverzicht und Demut tun gut. Aufgeheizte Zeiten brauchen Frauen und Männer, die auch mal von sich selbst absehen und vermitteln können. Die für das Recht von allen eintreten, wo nur Meinungen geschrien werden. Die Kompromisse schließen. 

Wie unvollkommen das auch gelingt: Mir tut gut, diese Woche zu erleben, dass sich Verantwortliche in unserem Land darin üben.

Es gilt das gesprochene Wort.

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