Wenn ich Israel für seine Verbrechen im Gazastreifen verurteile, sitze auch ich auf der Anklagebank.
Doch was folgt daraus? Hindert meine Solidarität mit Israel mich, den Gazakrieg entschieden zu verurteilen?
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Wenn ich Israel für seine Verbrechen im Gazastreifen verurteile, sitze auch ich auf der Anklagebank. Ein Volk, das vor seiner Auslöschung stand, reagiert mit dieser Erfahrung in seinem kollektiven Gedächtnis. Als Erbe der deutschen Geschichte habe auch ich Anteil an der Traumatisierung dieses Volkes.
Doch was folgt daraus? Habe ich die Verbrechen der israelischen Armee an den Palästinensern deshalb kleinzureden oder gar zu entschuldigen? Hindert meine Solidarität mit Israel mich, den Gazakrieg entschieden zu verurteilen?
Aus meiner Sicht zieht die gegenwärtige Politik auch falsche Schlüsse aus der auf Deutschland lastenden Schuld. Die Verbrechen an den Jüdinnen und Juden führte zu Recht zum unverbrüchlichen Existenzrecht des Staates Israels. Der Holocaust war aber auch ein Verbrechen an der Menschheit und die daraus resultierende Verantwortung muss in universeller Menschlichkeit münden.
In Diskussionen gibt es eine Tendenz, Konfliktparteien in "gut" und "böse" zu scheiden, die Überschneidungen werden vernachlässigt. Dass die Hamas als terroristisch charakterisiert wird, ist angemessen, noch immer hält sie Geiseln in ihrer Gewalt.
Doch auch im Kampf gegen die Hamas wird immer wieder gegen die Mindeststandards der Humanität verstoßen. Die meisten Opfer im Gazastreifen sind Umhergetriebene, hungernde Menschen im Kampf um ihr Überleben.
Selbst wenn die Hamas militärisch besiegt wäre, stehen die Überlebenden vor und in lauter Trümmern. Städte und Dörfer sind weitgehend zerstört. Woher sollen die Kraft und das Geld für einen Wiederaufbau kommen?
Die derzeitige israelische Regierung macht zudem deutlich, dass sie daran auch gar nicht interessiert ist. Ginge es nach ihr, hätten die Region, ja die Welt bald weitere hunderttausende palästinensische Flüchtlinge zu verkraften.
Flüchtlinge haben es schon immer schwer auf der Welt. Dabei war eine der wichtigsten Lehren aus dem Holocaust doch die, dass, Menschen, die an Leib und Leben gefährdet sind, Schutz bekommen. Es soll nie wieder so sein wie damals an der Grenze zur Schweiz, als die abgewiesenen Flüchtlinge direkt nach Auschwitz deportiert wurden.
Wie würden wir vertriebenen Palästinensern begegnen? Sehen wir in ihnen dann Geflüchtete, deren Schicksal zumindest indirekt mit der deutschen Geschichte verknüpft ist oder erklären wir uns für nicht zuständig?
Ich sehe, dass die Antworten der gegenwärtigen Politik ungenügend und vielfach widersprüchlich sind.
Deutschland liefert seine Waffen nach Israel und in die Ukraine und rüstet sich kriegstüchtig. Das ist die Lektion, die Deutschland aus seiner Geschichte gelernt haben soll, so höre ich in vielen Diskussionsrunden.
Für mich ist das die falsche Schlussfolgerung. Als Christ bezweifle ich ganz grundsätzlich, dass die Militarisierung dem Frieden dient, selbst wenn viele meiner Glaubensgeschwister das inzwischen anders sehen. Für mich basiert Friede nicht darauf, dass man das Böse besiegt, sondern dass man es durch Versöhnung überwindet.
Ich hoffe, dass die deutsche Politik auch gegen Widerstände auf eine Weltordnung hinarbeitet, die auf Respekt und auf Recht basiert.
Das bedeutet zum Beispiel, die UNO unbedingt zu stärken und den Internationalen Gerichtshof auch gegen die Diffamierung der Großmächte zu verteidigen.
Es widerspricht meinem Glauben, die Welt in Interessenssphären einzuteilen und uns das beste Teil zu sichern. Ich glaube an den Wert der Solidarität zwischen den Völkern und an einen Frieden, der darauf beruht, dass alle Menschen vor Gott das gleiche Lebensrecht haben.
Es gilt das gesprochene Wort.
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