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Sendung zum Nachlesen:
Üblicherweise halte ich mich als evangelischer Pfarrer zurück, wenn es um die Äußerungen des katholischen Kirchenoberhauptes geht. Aber in diesem Fall möchte ich die Selbstbeschränkung übergehen, weil die Diskussion über die konfessionellen Grenzen hinausgeht. Im Fokus steht die Frage, wer in Zeiten der Kriege und der Aufrüstung noch als Fürsprecher des Friedens auftritt. Und es geht um die Symbolkraft weißer Fahnen.
Schaut man sich die Äußerung des Papstes genauer an, ist die Formulierung erst einmal nachvollziehbar: „Schämt euch nicht zu verhandeln, bevor es zu spät ist“, sagt Franziskus.“ (1) Ich finde, er hat Recht, nur stimmt der Adressat nicht. Wenn er diese Worte an Putin gerichtet hätte, müsste man ihm applaudieren. Allein Putin hat Grund, sich zu schämen, er müsste den Mut zu Verhandlungen finden, nicht die Ukraine. Der Täter muss sich schämen, nicht das Opfer.
Und dann ist da die weiße Fahne. Franziskus sagt wörtlich: „Aber ich denke, dass der stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und den Mut hat, die weiße Flagge zu schwenken und zu verhandeln.“ (2) Das Symbol der weißen Fahne ist missverständlich. Meistens wird es als Zeichen der Kapitulation gedeutet. Die weiße Fahne war früher aber das Zeichen für den Vermittler zwischen zwei Kriegsparteien. Die Farbe Weiß markierte ihn als neutral. So konnte er unbeschadet hin- und herpendeln zwischen den Fronten, die durch bunte Banner, Wappen und Fahnen gekennzeichnet waren.
In diesem Sinn richtet sich die Ermutigung zur weißen Fahne an alle Beteiligten, auch die Außenstehenden. Sie sollen ihre Möglichkeiten einsetzen, einen Frieden jenseits des Tötens zu erreichen. Ich weiß nicht, ob der Papst darauf abzielt. Aber als Christ möchte ich es so verstehen: Mut haben, trotz aller dringend notwendigen militärischen Maßnahmen auch über den Weg zum Frieden wenigstens nachzudenken.
Bei Friedensverhandlungen muss es ja nicht nur um die Begegnung zwischen Russland und der Ukraine gehen. Aus gutem Grund weist Franziskus auf internationale Verhandlungen hin. Es wäre schon ein großer Schritt, wenn sich die Staaten des Westens auf eine einheitliche Linie verständigen könnten oder wenigstens die Parteien der Bundesregierung; auch das wäre ein Erfolg der Diplomatie, der den Frieden ein Stück näherbringen kann.
In der biblischen Tradition wird nicht von weißen Fahnen gesprochen, aber von Tauben. In der Geschichte von Noah und der Sintflut wird eine Taube zum Symbol. Dreimal sendet Noah sie aus, um zu erkunden, ob die Katastrophe vorbei ist und es wieder Boden unter den Füßen gibt. Zweimal kehrt die Taube zurück, zuerst ohne ein Zeichen der Hoffnung. Beim zweiten Mal trägt sie einen Olivenzweig im Schnabel. Erst beim dritten Versuch kehrt sie nicht zurück, sie hat endlich ihr Ziel erreicht.
Die Taube ist zum Symbol geworden, nicht für den Frieden, aber für die Hoffnung darauf. Seit Picasso sie in Weiß skizziert hat, ist sie als weiße Taube geläufig. Wichtig daran ist der Ölzweig. Er zeigt, dass es sich um die Taube beim zweiten Mal handelt, diejenige, die für den wiederholten Versuch steht, endlich Boden unter den Füßen zu bekommen, wo alles zu versinken droht. Das stärkere Symbol als die missverständliche weiße Flagge ist für mich die weiße Taube mit dem Ölzweig.
Es gilt das gesprochene Wort.
Anmerkungen:
- https://www.tagesschau.de/ausland/europa/papst-ukraine-krieg-100.html.
- https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2024-03/franziskus-interview-schweiz-fernsehen-radio-weiss-suende-krieg.html.