"Vernimm mein Schreien!"

"Vernimm mein Schreien!"
Laut werden vor Gott
26.03.2023 - 07:05
03.01.2023
Konrad Hofmann

von Konrad Hofmann

Über die Sendung:

In biblischen Texten, besonders in Psalmen, erscheint der Schrei als natürlicher Teil der Kommunikation mit Gott. Und, so widersprüchlich das klingen mag, gerade diese extreme Kommunikation kann für den Glauben eine Stärkung sein. Man kann Psalmisten stellvertretend für sich vor Gott laut werden lassen. Der Autor findet auch in der Musik ein Schreien, dem er sich anschließen kann - mit seinen Emotionen und mit seinem Glauben.  

Der "Feiertag" im DLF zum Nachhören und Nachlesen.

 
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In vielen Texten der Bibel, allen voran in den Psalmen, wenden sich betende Menschen auf verschiedene Weise hin zu Gott. Sie bitten um Hilfe und klagen ihr Leid; oder sie freuen sich und jubeln über ihr Glück. Eine häufig auffindbare, aber weniger rezipierte Form dieser Hinwendung ist das Schreien - zu Gott, zum Himmel, bis in die Totenwelt hinein. Es gibt sogar einen festen hebräischen Begriff für einen direkt an Gott gerichteten Hilfeschrei: שׁוע (shava)
Ein solcher Hilfeschrei kommt in einer weithin bekannten Geschichte in der Bibel vor: In der Erzählung vom Propheten Jona. Frisch von Gott dazu berufen, der Stadt Ninive einzuschärfen, dass sie von ihren Wegen umkehren und sich bessern soll, beschließt Jona, dem Auftrag Gottes zu entfliehen. Doch Gott sorgt auf dramatische Weise dafür, dass der Prophet die Reise zu der Stadt wieder aufnimmt, in der er predigen soll: Jona wird von einem riesigen Fisch verschlungen. Und er denkt: Das ist es nun. Jetzt stecke ich hier fest und bekomme die Rechnung für mein Handeln.
Jona ist am Limit und kann nicht mehr nur eine nette leise Zeile an Gott richten. Nein, er wird laut. Er schreit.
Und er wird gehört, bekommt eine Antwort und wird letztlich aus der Notsituation errettet.
Ich rief zu dem HERRN in meiner Angst, und er antwortete mir. Ich schrie aus dem Rachen des Todes, und du hörtest meine Stimme. (Jon 2,3)

Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen.  So finden sich extreme Situationen in der Bibel, in denen die Protagonisten nicht weiter wissen - mental wie körperlich.  Das, was noch in ihnen steckt, legen sie hinein in einen Schrei zu Gott.
Ein Schrei an sich ist eine Lautäußerung, die Menschen und einigen Säugetieren eigen ist. Das intensive Ausatmen von Luft durch die Stimmbänder bringt eine Verstärkung der Schallwellen und dadurch einen lauten Schrei hervor. Das Schreien hat sowohl im Zwischenmenschlichen als auch in der individuellen Spiritualität eine große Bedeutung. Meist kommen starke Emotionen zum Ausdruck, Schreien vermag es, Außergewöhnliches zu vermitteln - weniger durch die Worte selbst als vielmehr durch ihren emphatischen Ausdruck.
Viele kennen sicher den legendären Schrei des Sängers Joe Cocker. Auf dem Woodstock-Festival ist dieser Schrei unvergesslich geworden und jahrzehntelang bewegte er damit auf seinen Konzerten zahlreiche Menschen. Ein einzelner Mensch wird laut und die Schwingungen kommen bei den anderen an und reißen sie mit.


In biblischen Texten erscheint der Schrei oft als natürlicher Teil der Kommunikation mit Gott, als eine Form der Hinwendung zum Göttlichen. Doch in den Jahrtausenden seit der Entstehung dieser Verse scheint das Schreien, das Lautwerden vor Gott, als Gebetsform an Normalität und Häufigkeit eingebüßt zu haben. In Gottesdiensten und Andachten werden öfter Psalmen vorgelesen, in denen Menschen zu Wort kommen, die aus tiefster Not heraus zu Gott schreien. Doch üblicherweise werden deren Worte weder inbrünstig noch geschrien vorgetragen oder gesungen.
Der 22. Psalm ist da ein starkes Beispiel:
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.
Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht,
und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.
(Psalm 22,2.3)

Aus seiner Verzweiflung heraus muss der Betende ins Schreien verfallen.
Jesus selbst reiht sich in die Tradition des Lautwerdens vor Gott ein. In seinen Worten am Kreuz nimmt er genau diesen Psalm auf. Die Worte legen nahe, dass der leidende, am Kreuz hängende Jesus die Worte des Psalmisten ebenfalls als lauten Schrei hervorbringt.
Zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Wenige Momente später ist dann ein lauter, wortloser Schrei das Letzte, das man aus dem Mund des Gekreuzigten hört.
Ein ganz anderes Schreien ist oft das, mit dem zuallererst unser Einstieg in diese Welt gefeiert wird. Direkt nach der Geburt wird lauthals kundgetan: Hier bin ich! So signalisiert das Neugeborene, dass es lebt und genug Atem hat - sogar genug, um zu schreien.
Der irische Schriftsteller Samuel Beckett hat in den 1960er Jahren ein Theaterstück mit dem Titel “Breath”, “Atem”, geschrieben - einen Einakter, der so kurz ist, dass es fast länger dauert, ihn zu beschreiben: Ein Schrei, ein Einatmen, fünf Sekunden Stille, ein Ausatmen, ein zweiter Schrei, erneute Stille. Der Autor selbst legt das Ganze knapp und treffend aus:
„Man tritt ein, man schreit, und das ist das Leben. Man schreit, man tritt hinaus, und das ist der Tod!“

Was dieses Stück jedoch verschweigt, sind die vielen Schreie dazwischen. All die Höhen und Tiefen, die das Leben prägen und ausmachen. Sie ziehen sich durch alle Lebensphasen und bieten unzählige Möglichkeiten, dem Gefühlsspektrum von Freude bis Trauer sichtbar und besonders auch hörbar Raum zu geben.
Etwas davon spiegelt sich wider in dem, was die Bibel von Jesus berichtet. Denke ich an die Erzählung von Jesus im Tempel, wo er die Händler vertreibt, komme ich nicht umhin, mir vorzustellen, wie zornig er gewesen sein muss.
Und er lehrte die Leute, die dabei waren, und erklärte ihnen: »Steht nicht in der Heiligen Schrift: „Mein Haus soll als Gebetshaus für alle Völker bekannt sein‹? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus gemacht.“ (Mk 11,17)

Die Wut ergreift ihn und mit Worten des Propheten Jesaja verdeutlicht Jesus den Leuten, was hier eigentlich passiert. Er wird handgreiflich und stößt die Tische der Geldwechsler und Händler um.
So wie ich mir die Szene ausmale, wird Jesus hier richtig laut. Er schreit seine Sätze heraus, um den Leuten klarzumachen, dass der Tempel ein Gebetshaus und kein Geldhaus sein soll.
In einer anderen Gefühlslage, aber ganz ähnlicher Lautstärke stelle ich mir Jesus in der Szene vor, in der er über Jerusalem weint. Auf seinem letzten Weg dorthin blickt er auf die Stadt, die seinem Gott und ihm selbst so sehr am Herzen liegt. Jesus hat ja all die Konflikte und die Nöte der Bewohner und Bewohnerinnen vor Augen. Und offenbar ahnt er schon, was der Stadt möglicherweise bevorsteht: Krieg und Zerstörung. 

Wenn du doch erkennen würdest, was zum Frieden dient! Aber nun ist’s vor deinen Augen verborgen. (Lk 19,44b)
Womöglich schwingt auch hier Wut mit, die ohnmächtige Wut der Verzweiflung. Doch vor meinem inneren Auge sehe ich Jesus von Traurigkeit ergriffen und deute seine Tränen vor allem als Tränen des Mitgefühls und des Schmerzes. So höre ich ein anderes Lautwerden, wenn er sich an Jerusalem richtet und sich dabei wünscht, es wäre ein besserer Ort zum Leben.


Ein Schrei in Richtung des Himmels kann Ausdruck einer tiefen Verbundenheit sein. Das Lautwerden vor Gott ist dann ein Zeichen von Vertrauen und Hingabe. Es gibt Situationen im Leben, die uns die Möglichkeit nehmen, unseren Gedanken und Gefühlen auf besonnene und ruhige Weise Ausdruck zu verleihen – oder uns sogar ganz die Sprache verschlagen. Gerade dann läuft im Schreien einiges zusammen. Die Intensität des Gefühlten, das Öffnen aller Ventile, das schiere Herauslassen von Angestautem. All das packen wir in solchen Momenten in unsere Stimme.
Für solche Emotionen, die im Schreien ihren Ausdruck finden können, wende ich mich gerne einer Musik zu, in der ich auf ein Schreien stoße, dem ich mich anschließen, das ich nachempfinden kann. Das ist nicht nur schonender für die eigene Stimme, sondern kann einen Großteil dessen, was in der Musik passiert, auch in mir selbst spürbar machen. Vergleichbar zu meinem Umgang mit Psalmisten, kann ich mich mit den jeweiligen Interpreten auf einen Weg begeben und mit ihrer Hilfe laut werden.

Jeremy Bolm, Sänger der US-amerikanischen post-hardcore-Band “Touché Amoré”, gibt seinen Gefühlen regelmäßig Raum im Schreien. Der aus Los Angeles stammende Künstler schreit, musikalisch gesehen, fast ausschließlich. In dem 2016 erschienenen Album “Stage Four” verarbeitet Bolm den Verlust seiner Mutter, die an Brustkrebs im Stadium IV, in eben besagter“stage four” verstarb. Der Song “Benediction”, “Segen”, setzt sich mit dem Tag auseinander, an dem er gemeinsam mit seinem Bruder die Asche der Mutter beisetzt. Zwar ist Bolm bekennender Atheist, doch er wuchs christlich auf und kämpft bis heute damit, den Glauben seiner Mutter abgelegt zu haben. Für ihn war es bis zum Schluss nicht zu verstehen, wie seine Mutter ihren Glauben aufrechterhalten konnte, obwohl gerade sie von der Krebserkrankung getroffen wurde. Wenngleich er bis heute eine Bewunderung für die Glaubenshoffnung seiner Mutter verspürt und hofft, dass ihre Zuversicht Erfüllung finden konnte.

In “Benediction” beschreibt Jeremy Bolm also den Tag der Beerdigung und wählt eingangs - für ihn ganz ungewöhnlich - seine ruhige Gesangsstimme. Bis er im Refrain ankommt. Denn dort zitiert er den Segen der Christinnen und Christen, die auf der Beerdigung singen und sich damit von seiner Mutter verabschieden. Auf eine gewisse Art und Weise, teils sicherlich rebellierend, stimmt er mit ein, wenn sie singen: “Möge der mächtige Gott dich segnen und für immer bewahren. Möge er dir Frieden geben, vollkommenen Frieden; Mut in allem Bemühen.”


Eine Quelle großer Intensität und Freude in meinem Leben ist meine eigene Band. Gemeinsam mit drei Freunden werden dort Lieder geschrieben, die vom Leben erzählen, vom eigenen und dem anderer. Dafür nutzen wir oft den lauteren Tonfall: das Schreien. Von Anfang an war für uns klar, wir möchten melodisch auch mal ruhige Momente in unserer Musik haben. Aber die Gefühle und Themen, die wir in der Musik transportieren, verlangen nach etwas mehr Druck als den vom üblichen klaren Gesang. Seit nun schon knapp sieben Jahren machen wir als “Neska Lagun” Musik und sind über diese geteilte Leidenschaft eng zusammengewachsen. Denn egal, ob ohne oder mit Gesang, ob gesungen oder geschrien - Musikerinnen und Musiker stecken in Ihre Werke mehr als nur den physischen Aufwand, den es braucht, um Instrumente klingen zu lassen. In den Liedern steckt immer auch ein Teil von den Menschen, die sie schreiben.
Als uns dann im ersten Jahr der Corona-Pandemie neben den alltäglichen Sorgen plötzlich die Nachricht erreichte, dass unser Bassist an Darmkrebs erkrankt war, brach für uns eine Welt zusammen.

Durch die Musik verbindet uns seit Jahren eine Offenheit den anderen gegenüber, eine kostbare Verletzlichkeit, die auch in dieser Situation voll zum Tragen kam. Eine Krebsdiagnose Mitte dreißig. Darüber kann man nicht rational reden oder denken. Das ist vorne und hinten verkehrt und durchweg ungerecht. Noch während unser Freund in Behandlung war, entstand ein Lied, in dem wir gemeinsam seiner und unserer Sprachlosigkeit eine Form geben konnten. Im Text beschreibt er die Fassungslosigkeit und die Hilflosigkeit, die er gefühlt hat, als er im Krankenhaus nach kurzer Ohnmacht im Zimmer wach wurde und um sich herum nur flackerndes Licht und hektisches Treiben wahrnehmen konnte. Der Text beschreibt das beklemmende Gefühl, diese zermürbende Gefühlswelt mit seiner Frau und mit den Liebsten teilen zu wollen, aber stattdessen wankend durch die Flure eines anonymen Krankenhauses zu rennen, weil es das einzige ist, was er in diesem Moment tun kann.  Er beschreibt die Verzweiflung darüber, ausgerechnet von den Menschen abgeschnitten zu sein, denen man in einem so vulnerablen Moment am nächsten sein möchte. Die Angst, sich ihnen nicht adäquat mitteilen zu können und dadurch noch weiter von ihnen entfernt zu fühlen – und damit noch mehr allein.

Und doch hat das Stück auch ein rebellisches Element. Wie soll man auch souverän reagieren, wenn einen das Schicksal unvermittelt aus dem Leben reißt? Wie soll man da wissen, was zu tun ist? Inmitten dieser Orientierungslosigkeit, an einem so unwirtlichen Ort wie einem kalten Krankenhausflur, klammert sich das lyrische Ich an seine beiden starken Emotionen: erst an das Gefühl, zumindest die Leere spüren zu können, und dann an die Hoffnung. Darauf zu hoffen, irgendwann und irgendwie aus alledem herauszufinden. Das Schreien drückt also nicht nur Schmerz und Verzweiflung aus, sondern es steht auch für ein innerliches Aufbäumen. Für einen Akt des Widerstands gegen das Verlorensein. Für ein Aufbegehren gegen die Selbstaufgabe.
All das ergab eine Sammlung an Gefühlen, mit denen wir lautwerden wollten.


Im Schreien liegt nicht nur der Schmerz, der dem Lautwerden vorausgeht, sondern auch die Kraft, die es braucht, um die eigene Gefühlswelt nach außen zu stülpen. Was in unserem Lied passiert, spiegelt sich für mich wider in manchen Psalmen der Bibel.
Laut rufe ich zu Gott, ich schreie!
Laut rufe ich zu Gott, er wird mich hören!
Als ich in Not war, suchte ich den Herrn.
Nachts breitete ich meine Hände aus
und wurde nicht müde beim Gebet
Aber meine Seele ließ sich nicht trösten.

(Psalm 77,2-4)

Die Klagepsalmen und Klageschreie haben in sich selbst Kraft zu trösten. Dieser Trost setzt nicht erst in der Reaktion Gottes oder anderer Leute ein, sondern schon in der explizit gemachten Klage. Der Trost geschieht schon im Schrei selbst. Das Buch der Psalmen mit seinen stolzen 150 Kapiteln fühlt sich für mich manchmal an wie eine gut kuratierte Playlist oder ein Mixtape.
Und schaut man wissenschaftlich auf die Redaktionsgeschichte der Sammlung, ist da sogar etwas dran. Vergleichbar mit den Liedern von Künstlerinnen und Künstlern der heutigen Zeit, die beim Hören Schwingungen aller Art im Körper auslösen, tun sich in den zahlreichen Psalmversen Gefühlslagen und Gedankenwelten auf, denen ich mich anschließen oder mit denen ich ringen kann.
Mit den Worten der Psalmisten lässt sich ausdrücken, was einem selbst auf dem Herz und der Seele liegt. Sie können pure Verzweiflung und Trauer freisetzen. Sie können aber auch Hoffnungsschimmer erzeugen und von Veränderung oder Besserung erzählen. Manchmal sogar von einer Antwort Gottes, auf die man selbst noch wartet.
Sich solchen Worten anzuschließen, sie zu lesen, sich mit ihnen zu identifizieren und eigene Situationen hineinzulegen, kann eine Wohltat sein.
So beschreibt es Rainer Maria Rilke in einem seiner Briefe von den Psalmen:
“Ich habe die Nacht einsam hingebracht ... und habe schließlich ... die Psalmen gelesen, eines
der wenigen Bücher, in dem man sich restlos unterbringt, mag man noch so zerstreut und ungeordnet und angefochten sein.”

Der Gott, der in den Psalmen so oft angegangen und hinterfragt wird, ist auch der, den Jesus am Kreuz mit den Worten aus Psalm 22 anruft. „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Und, so widersprüchlich das klingen mag, gerade diese extreme Kommunikation mit Gott kann für den Glauben eine Stärkung sein. Was wäre es denn für eine Gottesbeziehung, wenn man all das Böse, all das Leid ausblenden oder schlichtweg ignorieren würde? Wie soll das funktionieren, wenn man nur auf Dank und Lobpreis zurückgreift, aber der Trauer und der Frustration keine Redezeit bietet? Nach Jahren der Pandemie, andauernden Kriegen und den Krisen im alltäglichen Leben, sollte es doch verständlich und erlaubt sein, dass wir über all das auch mal lauthals klagen. Auch oder vor allem laut vor Gott.
Es gibt Psalmen, die halten sich kein bisschen zurück in ihrer Beschreibung von Not und Gefahr. Die wiederkehrenden Hilferufe und Schreie der Betenden erschallen aus tiefen Schluchten, sogar aus der Totenwelt, aus Verfolgung und aus Situationen völliger Verlorenheit. Sie werden einem Gott entgegengebracht, entgegengeschleudert, der sich durch Schweigen oder gar Vergessen als starkes Gegenüber zum Betenden erweist, gerade in seiner Abwesenheit.
Und doch geschehen die Hilferufe und Schreie meist im Vertrauen darauf, dass sie gehört werden, dass Hilfe nahe ist, dass Gott da ist und Rettung möglich. Aber es zeigt sich, dass es manchmal eben mehr braucht als ein ruhig formuliertes Gebet – und etwas ganz anderes: Lautwerden vor Gott. Besondere Umstände fordern besondere Maßnahmen.

Solche besonderen Maßnahmen können sich eben auch in Musik äußern. In Liedern steckt eine Einladung, sich Gefühlen anzuschließen, sei sie nun gesungen oder geschrien. So wie man den Psalmisten stellvertretend für sich schreien und vor Gott laut werden lässt.
Was Rilke für sich von den Psalmen gesagt hat, kann ich mir gut zu eigen machen. Und ich sage das für mich genau so auch von der Musik, in der „man sich restlos unterbringt, mag man noch so zerstreut und ungeordnet und angefochten sein.”
Und auch im Schreien der anderen kann ich mich “restlos unterbringen”.
Im Vertrauen darauf, dass Gott es hört. Und dass es etwas in Gott auslöst.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

  1. Joe Cocker: With A Little Help From My Friends (Lennon, McCartney), CD-Titel: Joe Cocker, Greates Hits, Track Nr. 18.
  2. The National: Squalor Victoria, CD-Titel: Boxer: Live in Brussels, Track Nr. 4.
  3. Touché Amoré: Benediction, CD-Titel: Stage Four, Track Nr. 5.
  4. Neska Lagun: 656/3.
  5. Touché Amoré: Skyscraper, CD-Titel: Stage Four, Track Nr. 11.
03.01.2023
Konrad Hofmann