Arbeiter im Weinberg

Morgenandacht
Arbeiter im Weinberg
21.05.2015 - 06:35
03.04.2015
Pfarrerin Sigrun Welke-Holtmann

Er steht in der Schlange. Verschwitzt, wie er eben ist, musste er sich ganz hinten anstellen, obwohl er den ganzen Tag seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen ist und durchgehend gearbeitet hat. Seine Arme spürt er kaum noch, aber er hat es geschafft. Er ist zufrieden, denn er hatte Glück und wurde eingestellt. Er hat sich sein Geld redlich verdient.

 

In der Schlange reden sie kaum miteinander, alle starren vor sich hin und warten. Dann werden Fragen laut: „Warum bekommen die da vorne eigentlich zuerst, die haben doch gar nicht so lange gearbeitet? Hast du das gesehen, der Chef hat die doch erst vor einer Stunde eingestellt? Die sind noch nicht einmal verschwitzt!“

 

Warum werden die letzten zuerst bezahlt?

Warum so offensichtlich?

Die anderen hätten es doch gar nicht gemerkt, so fertig wie die waren, wenn der Chef es ihnen nicht vor die Nase gehalten hätte: Die letzten zuerst!

Sollte es eine Demonstration seiner Macht sein? Mehr als Mindestlohn, nämlich gleicher Lohn für alle bei ungleicher Arbeitszeit?

 

Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg wird im Neuen Testament im Matthäusevangelium erzählt.

Da ist der, der verschwitzt ganz hinten in der Schlange steht. Einer von denen, die am frühen Morgen Arbeit gefunden haben. Er wurde angesprochen – ein Silbergroschen pro Tag ist OK, da kann man nichts gegen sagen. Das entspricht genau dem, was man zum Leben so braucht.

 

Da ist der andere, der den ganzen Tag keine Arbeit gefunden hat, nicht wusste, wie er am Abend seiner Familie seine leeren Hände erklären sollte. Und dann, kurz bevor er die Arbeitssuche aufgibt, wird auch er angesprochen: „Geh noch in meinen Weinberg arbeiten, über den Lohn werden wir uns einig.“

 Erwarten kann er nicht viel, aber besser etwas als gar nichts.

 

Und da ist schließlich der Chef, der am frühen Morgen hinausgeht und Arbeiter für seinen Weinberg einstellt. Den einen früher, den anderen später. Am Ende des Tages bezahlt er allen den gleichen Lohn. Aber nicht aus Gemeinheit, oder um die Arbeiter zu provozieren, nicht um alle gegen sich aufzubringen – sondern aus lauter Güte.

 

Im Gleichnis finden die Arbeiter im Weinberg eine Güte, die nicht von dieser Welt zu sein scheint – unlogisch und ungerecht, die man so schnell nicht versteht. Und doch ist es gerade diese Güte, mit der das Gleichnis das Himmelreich beschreibt. Eine ganz unmenschliche, dafür aber göttliche Verteilungsgerechtigkeit: Gott gibt jedem, was er täglich zum Leben braucht. Die Letzten werden die Ersten sein.

 

„Einen Silbergroschen für den Tag“, das hatte der Chef am frühen Morgen ihm gesagt und der Arbeiter hatte „Ja“ gesagt. Wo liegt nun sein Problem?

 

„Mein Problem?“ ruft er: „Ich habe kein Problem. Das Problem liegt in den anderen, denen, die nicht so viel geschafft haben wie ich. Denen, die gerade mal eine Stunde dabei waren und noch nicht einmal geschwitzt sind.

Aber nein, auch bei denen liegt nicht das eigentliche Problem. Das Problem liegt vor allem in dir, Chef. Vorher war ich zufrieden und jetzt bin ich es nicht mehr. Und warum? Nur durch dich. Du bist ungerecht, total ungerecht. Merkst du das nicht?“

 

Mit hängendem Kopf geht er nach Hause, verschwitzt, seinen Lohn hat er in der Tasche. Die letzten Worte seines Chefs laufen ihm nach: „Bist du neidisch, weil ich gütig bin?“ Ob er zufrieden oder unzufrieden ist? Das kann er jetzt nicht mehr sagen, aufgebracht trifft es eher und verwirrt.

„Also wirklich!“ denkt er. „Neidisch – ich doch nicht! Oder doch?“

03.04.2015
Pfarrerin Sigrun Welke-Holtmann