Rose

Morgenandacht
Rose
08.08.2020 - 06:35
16.07.2020
Anja Neu-Illg
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Die Kirchen in Deutschland verzeichnen die größten Austrittszahlen seit Beginn der Aufzeichnungen.
In der Diskussion um die Ursachen und die Zukunft der christlichen Kirche wird mir als Pastorin manchmal ganz schwindelig, denn was war es noch gleich, weshalb wir losgelaufen sind? Was hat Jesus uns am Schluss mit auf den Weg gegeben? Sitzet in euren Kirchen und wartet auf die Leute, die da kommen? Nein, es war etwas mit „gehet hin“. Gehet hin und haltet unter allen Umständen die Herde zusammen und den Laden am Laufen. Irgendwie war es doch ein viel größerer und schönerer Auftrag, den Jesus seinen Leuten mit auf den Weg gegeben hat: „Gehet hin in alle Welt und predigt das Evangelium aller Kreatur.“ (Markus 16,15) Dieser Auftrag hat mit der Sorge um den eigenen Bestand nichts zu tun. Hingehen. Alle Welt. Predigen, zur Not mit Worten. Aller Kreatur, allem, was lebt. Das Evangelium. Das ist die Botschaft, die froh macht und frei und wenn sie nicht froh macht und frei, dann ist es auch nicht das Evangelium, zusammengesetzt aus „Eu“-für schön, gut und „angelion“ – für Botschaft, was in dem Wort Engel noch nachklingt. Und die Botschaft, die froh macht und frei ist: Gott liebt diese Welt. Alle Welt, das sind dann aber auch wieder einzelne Menschen. Was wir als Kirche in der Welt sollen, daran erinnerte mich eine Rose auf meinem Küchentisch, die nicht für mich bestimmt war. Das kam so:

Ich warte auf den Bus, an der Ecke vor dem Kino. Nasskalter Sommer. Keine Lust, zu warten; nicht auf den Bus und auch nicht darauf, dass es endlich wärmer wird. Es dauert mal wieder länger und in Gedanken bin ich schon einen Schritt weiter. Schon zu Hause, schon aufgewärmt. Doch ich bin noch hier. Die Gesichter der Passanten sind unterkühlt, manche griesgrämig. Wochenendeinkäufe hier und da. Nach Hause Eilende. Die Einkaufsnetze fangen an, einzuschneiden. Nirgends eine Bank zum Hinsetzen.

Plötzlich eine Rose vor meiner Nase. Hinter der Rose ein Mann, in Eile, schon im Gehen, sagt er noch schnell: „Bitte!“ Wie nett von ihm, mir eine Rose zu schenken. „Bitte, geben sie die Rose dort im Kino ab, bei Franziska. Sie sitzt an der Kasse. Ist meine Freundin. Wir haben uns im Streit getrennt, und ich möchte, dass alles wieder gut wird. Ich muss los. Mein Zug. Geht in fünf Minuten. Vielen Dank. Sagen sie ihr, dass ich sie liebe, ja?“ Und weg war er.

Ich stehe da, im Nieselregen, mit Einkaufsnetzen. Und einer Rose. Die ist nicht für mich. Der „Freund“ ist weg. Was bleibt mir übrig?

Vergeblich rüttle ich an der großen Kinotür. „Kasse geschlossen.“ Na toll. Keine Franziska, keine Übergabe. Ich nehme die Rose erstmal mit. Vielleicht sollte ich sie einfach behalten. Endlich mein Bus. Ich steige ein und überlege: Bin ich in den nächsten Tagen nochmal hier in der Gegend? Eigentlich nicht.

Die Rose zu Hause bei mir in der Vase. Auch irgendwie nicht richtig. Klar, ich hatte ihm ja nichts versprochen, weiß nicht mal seinen Namen. Vertraut einfach einer Fremden seine Rose an. Ist das noch Vertrauen, oder schon Leichtsinn?

Aber kann ich Franziskas Rose dabei zusehen, wie sie aufblüht, verblüht, erblasst und nach und nach die Blütenblätter auf meinen Küchentisch fallen lässt?

Ich kann nicht. Am nächsten Tag bin ich wieder vor dem Kino.
„Zweite von links“, sagt der Türsteher. Franziskas Kassenbox. Was, wenn sie gar nichts mehr wissen will von ihrem Freund? Was, wenn er ihr gestohlen bleiben kann?“

„ähm. Schönen Gruß von ihrem Freund. Er liebt sie.“ Höre ich mich sagen. Ich halte Franziska die Rose hin.

„Oh, … danke! Danke!“ Sie strahlt. Kann nichts mehr sagen. Und fällt mir einfach um den Hals.

Wenn ich an die Zukunft der christlichen Kirche denke, dann meine ich, dass wir uns zu viel mit der Sorge um den eigenen Bestand beschäftigen währen auf den Küchentischen Rosen aufgehen und verblühen, die uns nicht gehören.

16.07.2020
Anja Neu-Illg