Memoiren eines Sängers und Königs

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Memoiren eines Sängers und Königs
06.06.2020 - 10:00
13.10.2020
Angelika Obert
 

 

 

Ich wollte schon immer Musik machen und Sänger sein. Seit ich elf oder zwölf war, war dies das einzige, das mich interessierte. Meine älteren Brüder nahmen mich nicht ernst. Wenn ich nur auf Steinen und Krügen getrommelt hätte, das hätten sie verstanden, aber ein Junge, der singt? Das war nichts für starke Kerle. Sie schüttelten den Kopf, wenn ich summend an ihnen vorbei lief und Melodien erfand. Muttersöhnchen, sagten sie. Nur Großvater verstand mich. Er rief mich zu sich und schenkte mir meine erste Laute. Ich nahm das Instrument mit beiden Händen, probierte die Saiten aus und brachte mir das Laute-Spielen selber bei. Ich verzog mich raus auf die Felder, um die Schafe zu hüten und spielte und sang, wann immer ich die Zeit dafür hatte.

Eines Tages kam ein alter Priester zu uns nach Hause, der redete etwas von Königen und fasste mich ins Auge. Alle guckten mich an. Der Alte hielt seine Hände über mich und sagte, Gott wolle mich segnen. Dann verschwand er.

Nicht, dass ich mir etwas auf diese Begebenheit einbildete. Ich verstand den Priester ohnehin nicht mit meinen vierzehn Jahren. Aber eine Sache stimmte: Ich sollte bald darauf in den Palast kommen. König Saul suchte einen Musiker, der Harfe spielt. Ein Bekannter von mir, ein paar Jahre älter als ich, war im Palast angestellt, und der empfahl mich: Ich kenne da einen, den Sohn von Isai aus Bethlehem, schaut euch den mal an. Er hatte mich dann in den höchsten Tönen gelobt und meinte, ich könne nicht nur Musik machen, sondern sei zudem noch mutig und clever, jedenfalls nicht auf den Kopf gefallen, und wer weiß, wofür man so einen kräftigen Burschen wie mich noch brauchen könne. Kein Wunder, dass bald ein Bote aus dem Palast auftauchte und meinen Vater überredete, mich zum König ziehen zu lassen.

Da war ich also. Ich wurde einer der königlichen Waffenträger. Meine Brüder wurden still, als sie das hörten. Von wegen Muttersöhnchen! Saul mochte mich.

Was es aber mit dem König noch auf sich hatte, davon konnten alle ein Lied singen. Er trug eine Menge Wut mit sich herum und konnte schnell explodieren, so dass sein Brüllen im ganzen Palast zu hören war. An anderen Abenden fiel er in Depressionen. Sich mit ihm zu unterhalten, war mühselig. Er war nicht ansprechbar. In solchen Momenten drang niemand durch die unsichtbare Mauer, mit der er sich umschloss. So spielte ich ihm meine Lieder. Er entspannte sich. Das sagte er selber in lichten Momenten: Wenn du singst, wird es mir leicht, ich sehe weiter, ich komme zur Ruhe.

Mir selber ging es auch so. Einige Zeit später - das war nach der Sache mit dem Riesen Goliath, den mein Steinwurf zu Boden riss - wendete sich das Blatt. Der König wurde eifersüchtig auf meinen Erfolg und versuchte sogar, mich umzubringen. Einmal warf er einen Speer nach mir. Da verschwand ich und versteckte mich in einer Höhle in den Bergen.

Ich saß da, improvisierte Akkorde und sang so eine einfache Melodie: Sei du mir gnädig, Gott, auf dich traut meine Seele, bis das Unglück vorüber ziehe. Schaffe mir weiten Raum... (Psalm 57,1-2) Das Singen gab mir Kraft und ich meinte es so: Der Gedanke an Gott ließ mich hoffen.

Jahre später wurde ich König, Nachfolger von Saul. Was soll ich sagen: Mein Erfolg verwandelte mich immer mehr zu einem Egozentriker. Das kann der bescheidensten Person passieren. Du trägst die Krone auf dem Kopf und es macht „Klick“ und irgendwann nimmt man nichts mehr wahr außer sich selbst. Mit Bathseba hatte ich mich verrannt. Diese bildhübsche Frau! Ich wollte sie haben und nahm sie mir. Ihren Mann, den Soldaten Uria, ließ ich in die vorderste Front schicken, wo er starb. Als der Prophet Nathan mir meine Sünde vorhielt, wurde ich still. Gott, sei mir gnädig, schaffe in mir ein reines Herz, vergib mir, diese Worte murmelte ich vor mich hin, rief sie, sang sie, nächtelang (Psalm 51). Ich glaube fest, Gott vergab mir.

Und heute? Ich bin alt geworden. Meine Laute hängt über meinem Lager. Morgens singe ich immer noch: Wach auf, meine Seele, wach auf, Harfe, das Morgenrot will ich wecken! (Psalm 57,9)

 

13.10.2020
Angelika Obert