Seufzen und Beten

Wort zum Tage
Seufzen und Beten
29.12.2020 - 06:20
27.12.2020
Marie Anne Subklew-Jeutner
Sendung zum Nachhören
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In dieser letzten Woche des Jahres 2020 begleitet uns hier das bekannte Gedicht des Theologen Dietrich Bonhoeffer, das er am 19. Dezember 1944 in seiner Gefängniszelle in Berlin geschrieben hat.

Die erste Strophe hat voller Zuversicht begonnen:

„Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar…“

Dagegen schleichen sich in die zweite Strophe Zweifel, Angst und Unsicherheit. Auch wechselt Bonhoeffer nun vom Ich zum Wir und Uns. Darin verbindet er sich über Gefängnismauern hinweg mit seinen Lieben, nimmt aber auch mich mit hinein in seine Gedanken.

„Noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das du uns geschaffen hast.“

Viele Seelen sind am Ende dieses Jahres 2020 tatsächlich aufgeschreckt und bedrückt von der Last böser Tage. Viele sorgen sich um ihre alten Eltern; und diese sorgen sich um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Manche wissen nicht, ob ihr kleines Restaurant den lock down übersteht, andere fragen sich, ob ihre Arbeit noch sicher ist. Wieder andere sind besorgt über den Klimawandel und verzweifelt über das Elend im Mittelmeer und in den Flüchtlingslagern.

"Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast."

Das Gedicht wird zum Gebet. Es beginnt mit einem Seufzer. Beides gehört oft zusammen: Seufzen und Beten. Die Last der Tage und die Unruhe der Nächte werden manchmal zu viel.

Ach Herr - die neuen Fragen sind zu groß und die alten Antworten passen nicht mehr.

Ach Herr - was soll bloß werden?

Die Sorgen um die Zukunft drohen mich zu erdrücken.

Ach Herr – seufze ich still und ohne Worte.

Bonhoeffers Seufzer haben einen Adressaten: Gott.

Ach Herr - gib unseren aufgeschreckten Seelen, das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Was braucht meine Seele, damit sie zur Ruhe kommen kann und womöglich heil werden?

Ich kann sagen: Ich brauche das Vertrauen, Gott hört meine Seufzer.

Ich brauche die Erfahrung, dass etwas heil werden kann, auch wenn das, was eintritt, nicht meinen Vorstellungen entspricht. Ich kann mich üben im Annehmen. Und wenn mir die Worte ausgehen, wenn ich nicht weiß, wie ich beten soll, wenn mir nichts mehr bleibt als ein Seufzer, dann kann ich mich erinnern an die biblischen Worte im Römerbrief:

„Wir wissen nicht, was wir beten sollen, aber der Geist vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.“

Und ich kann für mich und mit anderen dieses Bonhoeffer-Lied singen und bitten:

„Ach Herr, gib unseren aufgeschreckten Seelen, das Heil, für das du uns geschaffen hast.“

 

Es gilt das gesprochene Wort.

27.12.2020
Marie Anne Subklew-Jeutner