Schweigen ist Silber

Schweigen ist Silber
mit Pfarrerin Anke Prumbaum
10.02.2024 - 23:40
12.10.2023
Anke Prumbaum

Guten Abend! Ich habe letztens eine Frau begleitet. Sie hatte einen schweren Konflikt mit jemandem, die ihr eigentlich sehr nahe stand. Sie hat ihr einen Brief geschrieben. Hat sich natürlich ewig lange den Kopf darüber zerbrochen und formuliert und verworfen, und am Ende gab sie mir den Brief zu lesen. …Ich wollte ihn nicht lesen. Ich sagte zu ihr: Lesen Sie ihn mir vor! Und das tat sie. Während sie ihre eigenen Worte vorlas, kamen ihr die Tränen und an einigen Stellen versagte ihr die Stimme. „Der ist gut, der Brief,“ sagte sie dann am Ende. Und sie meinte: Ich hab mir so viele Gedanken gemacht. Aber erst jetzt, wo ich selbst ausspreche, was ich geschrieben habe, merke ich, was es eigentlich ist.

Das ist klug. Manches muss ich aussprechen. Es reicht nicht, dass ich es denke oder lese oder aufschreibe. Manches muss gesagt sein. Denn erst im Aussprechen bekommt es Realität, die Form der Wahrheit, die richtig ist.

So oft muss ich da an eine alte Freundin denken. Vor etlichen Jahren starb ihre jüngere Schwester. Sie hat mehrere Tage gebraucht, bis sie mir das erzählt hat. Ich hatte immer wieder gefragt, „Wie geht es Deiner Schwester“, und sie meinte immer: „Unverändert.“ Das auszusprechen, dieses Schreckliche „gestorben“, hat sie am Anfang nicht geschafft. Denn in dem Moment, in dem sie es gesagt hat, war es in der Welt.

So kann es auch sein mit dem Aussprechen. Das, was ich da sage und benenne, wiegt so schwer, dass ich es kaum aushalte. Und es wird eben im Aussprechen nochmal viel wirklicher.

Trotzdem glaube ich, dass es richtig ist. Die Alternative wäre, Dinge nicht zu benennen. Sie zu verschweigen, mit mir selbst auszumachen, innendrin einzuschließen. Ich glaube, der Schritt ins Aussprechen ist wichtig. Das, was ich benenne, wird nicht nur realer, es hat ja dann auch die Chance, breiter wahrgenommen zu werden und geteilt zu werden.

In unserer Kirche ist genau das passiert. Menschen haben ausgesprochen, was ihnen an sexualisierter Gewalt widerfahren ist. In der Kirche, durch kirchliche Mitarbeitende. Missbrauch. Ich mag mir nicht vorstellen, wie das für die Betroffenen war, davon zu erzählen. Ich denke an die Frau mit dem Brief, die durch ihre ausgesprochenen Worte die ganze Situation noch einmal so deutlich gespürt hat. Da kommen ganz alte Ereignisse nochmal hoch. Aus meiner Arbeit als Seelsorgerin weiß ich, dass sich auch viele entscheiden zu schweigen, weil sie so viel Kraft gebraucht haben, um das Erlebte irgendwie wegzupacken.

Dennoch: Das, was war und das, was ist, aussprechen, wenn irgend möglich! Als Schmerz, als Anklage, als Mahnung. Und nicht nur die Betroffenen selbst, auch die, denen es erzählt wird. Da geht es darum, dass Raum ist fürs Aussprechen, dass das ernst genommen wird.

Wenn ich in die Bibel reinschaue, ist es eigentlich klar. Da wird ausgesprochen. Da wird geklagt. Über Brutalität und Machtmissbrauch. Da stehen Bitten um Rechtsbeistand. Alle Betenden der Bibel gehen davon aus, dass sie gehört werden. Meine Institution, die Kirche, hat oft nicht hingehört. Hat das Leid des Missbrauchs nicht aussprechen lassen. Das muss sich ändern. Ich möchte, dass wir hören, ernst nehmen und natürlich auch handeln. Uns verändern und über Wiedergutmachung sprechen.

Ich spreche das laut aus, damit es Realität wird. Und ich bete darum, dass es viele andere auch tun.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag.

12.10.2023
Anke Prumbaum