Tanz auf dem Vulkan

Tanz auf dem Vulkan
mit Lissy Eichert aus Berlin
20.01.2024 - 23:35
12.10.2023
Lissy Eichert

Wort zum Sonntag, 20.01.2024, Lissy Eichert, Berlin

„Tanz auf dem Vulkan“

Guten Abend!

„Wach auf, du schweigende Mehrheit, wach auf, du Mitte der Gesellschaft – und setz ein klares Zeichen gegen Extremismus!“ Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass ich einmal ein „Wort zum Sonntag“ so beginnen werde: mit einem Appell des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang. Die Mitte der Gesellschaft habe sich sehr in ihrem „komfortablen Privatleben“ eingerichtet.

Kann es sein, dass wir die Gefährdung der Demokratie verpennen?

Wie damals in den „Goldenen Zwanzigern“, als die Menschen mit viel Party versuchten, die harte Realität auszuhalten - ein Tanzen auf dem Vulkan. Signale für kommendes Unheil gab es genug. Doch die Mehrheit - schlief.

Werdet wach! So rüttelten die biblischen Propheten das Volk auf, wenn es mal wieder auf Irrwegen war. Später warnt Jesus vor dem „Dieb in der Nacht“, der einbricht, wenn alle im Haus schlafen. Also: Wachsam bleiben, damit uns die Demokratie nicht plötzlich über Nacht abhandenkommt. Denn von uns will doch keiner in die Wüste geschickt werden! Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund sollen laut Vertreibungsplan dieses dubiosen Treffens in Potsdam deportiert werden. Auch so genannte nicht assimilierte Staatsbürger und -bürgerinnen sollen aus Deutschland rausgeschmissen werden. Vielleicht sind auch Sie gefährdet. Oder ich?

 

Szenenwechsel. Beim Neujahrsempfang meiner Neuköllner Gemeinde haben wir viel gelacht. Als es langsam ans Aufräumen ging, fand ein Grüppchen junger Leute immer noch kein Ende. Leidenschaftlich debattierten sie über die Krisen in der Welt und über die AfD. Plötzlich war ich hellwach. Und beeindruckt, wie sie diskutierten: Da wurde nicht gekalauert. Da wurde zugehört, man fiel einander nicht ins Wort, und wer Kritisches äußerte, wurde nicht abgekanzelt. Kurzum: Gelebte Demokratie im Kleinen.

Währenddessen räumten Ehrenamtliche schon mal auf. Mit dabei unser Koch aus Argentinien. Er kümmerte sich ums restliche Essen. Und am Treffpunkt Spüle ließ sich ein Geflüchteter aus Afghanistan von Stapeln dreckiger Teller nicht entmutigen. Er macht gerade eine Ausbildung zum Krankenpfleger. So kann’s gehen. Vielleicht sind da doch mehr Menschen wach, als ich denke?

 

Ja. Jetzt endlich beginnen mehr Alarmglocken zu schrillen. Täglich demonstrieren Menschen für den Schutz unserer Demokratie.

Mein persönlicher Wachmacher ist eine Bitte aus dem „Vater unser“: „Dein Reich komme“. Dein Reich, großer Gott, komme. Weil es so anders ist als alle Reiche dieser Welt. Weil das Wichtigste im Reich Gottes die Liebe ist. Und weil zu dieser Liebe ausdrücklich die Fremdenliebe dazu gehört.

Mir hilft es gerade in dieser gefährlichen Situation, einen Gott zu kennen, der an uns Menschen glaubt. Gott macht uns zur Umkehr fähig – und traut uns diese Umkehr auch zu.

Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht und ein gestärktes Aufwachen.

12.10.2023
Lissy Eichert