Mittagessen im Kindergarten. Für jedes Kind gibt es noch einen Apfel. Ein Kind nimmt sich zwei, und so wird eines leer ausgehen. „Das ist ungerecht!“, ruft ein Mädchen, „gib den Apfel zurück!“ Das Kind mit den zwei Äpfeln rückt einen wieder raus.
Interessant. Bereits Kinder im Vorschulalter schreien auf, wenn sie etwas als ungerecht empfinden. Ungerechtigkeit - das ist auch ein nagendes, ein bitteres Gefühl, mit einer Situation überfordert und vor allem im Stich gelassen zu sein.
Das große Thema für den politischen „heißen Herbst“: der Zusammenhalt. Die Folgen von Pandemie und Krieg, die Energiekrise und die Inflation treffen die Mitte der Gesellschaft. Unser gesellschaftliches Rückgrat droht gerade zu brechen. Es geht ums Ganze. Ums Gemeinwohl.
Um unser aller Wohl. Das heißt: den Einzelnen im Blick haben, solidarisch handeln und kleinere Einheiten durch größere stärken. Oder anders: Es geht um Personalität, Solidarität und Subsidiarität, drei Prinzipien der Katholischen Soziallehre. Klingt kompliziert, ist aber „praxistauglich“. Denn diese Drei müssen gleich stark zusammenwirken. Kippt eines, kippt alles. Wie beim Domino. Wir merken es an den „Rettungspaketen“: Wird eine Gruppe übersehen, ist der Aufschrei groß.
Der Einzelne zählt. Wenn Politikerinnen und Politiker nur über Zahlen und Statistiken reden, beschleicht mich manchmal der Verdacht, dass sie keinen persönlichen Bezug zu Betroffenen haben. Sich vom Schicksal des Einzelnen berühren zu lassen, ist eine Chance, weil es die innere Einstellung und das Handeln verändert.
Solidarisch handeln gilt auch weltweit: Europa kämpft um Alternativen zum russischen Gas – und in Schwellenländern geht das Licht aus. Deutschland und Europa dürfen Länder wie Pakistan oder Bangladesch nicht vom Gasmarkt verdrängen. Darüber redet aber kaum jemand.
Und Subsidiarität bedeutet: Kleinere Einheiten dürfen nicht aufgesogen werden durch größere. Deutschland lebt vom Mittelstand. Weil der Handwerksbetrieb, der private Pflegedienst oder die kleine Pizzeria an der Ecke das große Ganze zusammenhalten.
Doch dieser Kitt der Gesellschaft bröckelt - und damit der soziale Frieden. Eigentlich könnten wir von Kindern lernen, wie sozialer Frieden geht. Zum Beispiel aus der Geschichte mit dem Apfel: Das Mädchen hat ja nicht für sich, sondern für ein anderes Kind gekämpft. Ihr selbst hat dieser Einsatz also gar nichts gebracht – oder doch? Vielleicht einen neuen Freund.
Klar, Kinder können zanken und raufen und bockig sein. Doch fast alle bringen diesen Gerechtigkeitssinn mit, das feine Gespür für Recht und Unrecht. Sie können „Ich“ sagen, aber auch „Wir“. Und sie suchen andere zum Reden und Spielen.
Wir alle brauchen diesen Dreiklang: den Blick auf den Einzelnen, den für das große Ganze und für das vielfältige Dazwischen. Nicht nur in diesem Herbst und Winter.
Ich wünsche Ihnen einen guten Abend.
Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB)
Redaktion: Ulrike Bieritz
Katholischer Rundfunkbeauftragter für den RBB
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