Jünger werden

Jünger werden
Pfarrerin Dr. Stefanie Schardien
20.07.2019 - 23:35
06.02.2019
Dr. Stefanie Schardien

In ihren letzten Lebensjahren hat meine Oma immer wieder seufzend und traurig gesagt: „Ach, Altwerden macht keinen Spaß.“ Das hat sie meistens dann gesagt, wenn ihr der Rücken weh tat oder wenn ihr Hörgerät pfiff. Ist doch nicht schlimm, wollte ich sie trösten. Aber sie fand es schlimm, dieses Schwächer- und Langsamer- und Grauerwerden. Denn sie kannte sich ja von früher ganz anders: Jung, springlebendig, schön und voller Kraft. Dann fing dieser Körper schleichend an, vor sich hin zu welken. Darum fand meine Oma: Es reicht irgendwann auch mal mit dem Leben. Oft hab ich damals schnell das Thema gewechselt. Weil ich das alles noch nicht so richtig nachfühlen konnte. Vermutlich auch, weil ich selbst ein bisschen die Augen davor zumachen wollte.

Doch um die gefühlte Lebensmitte herum, pünktlich mit dem Eintreffen der ersten Fältchen und Orthopädentermine, hab ich eine erste Ahnung davon bekommen, was meine Oma gefühlt hat. Beklemmend. Da hab ich gespürt, wie sehr ich doch selbst am Leben hänge. Das soll noch nicht so schnell bergab gehen. Darum tue ich, wie so viele andere auch, mein Bestes, das Altern irgendwie hinauszuzögern: Gesunde Ernährung, Cremes und Sport. Warum kann ich nicht einfach ums Altern herumkommen?

Und dann lese ich letzte Woche diese Meldung, diese unfassbare Meldung. Schluss mit meinen Sorgen ums Altern. Da verkünden amerikanische Forscher ihre neue Entdeckung: Ein Medikament, das das Altern nicht nur bremsen, sondern sogar rückgängig machen soll. Durchschnittlich siebeneinhalb Jahre haben sie bei den Versuchspersonen herausgeholt. Graue Haare wurden wieder dunkel, der Körper verjüngte sich wie von selbst. Da wäre er endlich, der Jungbrunnen, der alte Mythos, einfach aus der Apotheke abzuholen. Einfach später alt werden und ein paar Jahre geschenkt bekommen. Fantastisch. Mir kommen auch sofort tolle Ideen für solche Zusatzjahre: Ich hätte mehr Zeit, um schöne Dinge zu erleben, zu reisen. Vielleicht würde ich nicht nur Enkel, sondern auch meine Urenkel richtig erleben.

Und dann habe ich mir das neue Leben weiter vorgestellt: Was, wenn meine Freunde das Medikament ablehnen und vor mir alt werden? Viele von ihnen meinten nämlich gleich: „Um Himmels willen, das würde ich nie nehmen! Willst Du etwa noch länger arbeiten? Wer soll dir denn sonst noch länger Rente zahlen? Oder es würde eben alles noch ungerechter für die jüngeren Generationen.“ Ziemlich viele Fragen. Ich habe mich vor allem gefragt: Würde ich eigentlich zufriedener sein?

Wenn ich als Pfarrerin bei Trauergesprächen mit den Menschen zusammensitze, dann geht es oft um dieses Sehnen nach mehr Leben. Manchmal nach mehr Lebenszeit, aber viel mehr nach anderen Dingen.

Denn da sind so viele unerfüllte Erwartungen, geplatzte Wünsche, das Gefühl, das Leben hätte kompletter und runder sein können. In den Gesprächen taucht immer die Frage auf: Was hat der Verstorbene aus der Zeit gemacht, die er hatte. War er zufrieden? Wenn ich jetzt durch Medikamente mehr Jahre geschenkt bekomme, dann bleibt die Frage: Mache ich etwas Wichtiges und Sinnvolles daraus? Reichen mir die Jahre?

Bei Beerdigungen erzähle ich als Pfarrerin von meiner Hoffnung auf geschenkte Zeit: Ich erzähle von meiner Hoffnung auf das ewige Leben. Davon, dass in der Ewigkeit alle Sehnsüchte nach mehr Leben ein Ziel haben. Ich glaube, dass ich im ewigen Leben ganz tief zufrieden sein darf. Das tröstet mich, und es erinnert mich auch daran, etwas aus den Jahren im Hier und Jetzt zu machen. Wie viele Jahre uns auch geschenkt sind: Machen wir was draus. Kümmern wir uns um die wichtigen Dinge im Leben. Kümmern wir uns um unsere Familie, Freunde, Vereine und wenn Sie mit mir dran glauben, auch um Gott. Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Nacht.

06.02.2019
Dr. Stefanie Schardien