Mit Gott durch die Krise

Mit Gott durch die Krise
von Pastoralreferentin Lissy Eichert
27.06.2020 - 23:35
15.06.2020
Lissy Eichert

Das Wort zum Sonntag: 27.06.2020

Sprecher: Lizzy Eichert, Berlin

 

In einem Lied, das wenige Wochen vor dem Fall der Mauer in Jena entstand, heißt es: Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt. Gott selbst kommt uns entgegen. Die Zukunft ist sein Land. Wer aufbricht, der kann hoffen in Zeit und Ewigkeit.

Es wurde zum Lied der Friedlichen Revolution. Weil es dem Lebens- und Zeitgefühl entsprach: der Aufbruch, das Tasten nach neuen Wegen, die Ermutigung, sie zu gehen.

Und heute, 30 Jahre später, wieder ein Umbruch. Nichts scheint mehr sicher. Erst Homeoffice und gespenstisch leere Straßen, jetzt wieder Gedrängel im Berufsverkehr und an Badeseen. Und immer begleitet von der Warnung, die zweite Corona-Welle rollt an, wenn wir übermütig werden. Nach dem ersten Schock im März entwickelte sich ein "Wir-Gefühl". Wir hielten Abstand - und doch zusammen. Interessierten uns füreinander. Halfen einander. 

Und jetzt?

Tönnies…

Stuttgart-Krawalle…

Quarantäne für ganze Häuserblocks, Landkreise im Lockdown. Corona bringt alles ans Licht – die skandalösen Arbeitsbedingungen, den wirtschaftlich existentielle Druck, die Konflikte in den Familien, zwischen Jung und Alt. Es ist eine Zerreißprobe: Wieviel Geduld ist da noch? Sich selbst aushalten, so aufgedreht und dünnhäutig zugleich. Das Gefühl, nicht mehr zu können - und auch nicht mehr zu wollen. Doch ob wir wollen oder nicht, neue Wege stehen an.

Neues wagen – das braucht Mut. Ganze Industriezweige wollen, ja, müssen sich ökologisch neu erfinden. Die Bildung sucht neue Wege. Das Gesundheitswesen. Die Bundesliga. Veränderungen stehen an, die einen bange machen können. Vielleicht muss ich Liebgewordenes aufgeben. Einschränkungen hinnehmen. Meinen Lebensstil ändern. Nicht mehr so viel konsumieren… Und, klar, nicht alles, was neu ist, ist automatisch besser. Manche Neuerungen floppen. Und neue Wege können Sackgassen sein.

Ich versuche, diese Zeit jetzt als Anfrage zu deuten, als Aufgabe für mich selbst und für uns als Gesellschaft. In was für einer Gesellschaft will ich, wollen wir leben? 

"Vertraut den neuen Wegen, auf die uns Gott gesandt." Worte, die Menschen schon einmal Kraft gegeben haben. Weil sie eine neue Dimension ins Spiel bringen. Gott schickt uns los. Sagt: Traut euch, Ich bin da. Ich gehe mit euch durch die Zeit.

Was für eine Botschaft, im Schutz des Höchsten leben zu dürfen!  Der große Gott kommt mir auf Augenhöhe entgegen. Das ist wesentlich anarchistischer als manch kirchengezähmte Gottesvorstellung: ein Entgegenkommen, um an meiner Seite zu bleiben. In der Freiheit, mit Gott über alles reden und Fragen stellen zu können. Auch explodieren zu dürfen, den ganzen Druck abzulassen. Ist ja auch gut für die Mitmenschen, wenn sich Wut und Ungeduld nicht an der falschen Stelle entladen.

Deshalb: Vertrauen wir den neuen Wegen. Weil Gott selbst uns entgegenkommt.

 

15.06.2020
Lissy Eichert