Wort zum Tage
Gemeinfrei via Pixabay / Peggy Marco
Kriegerdenkmal
von Jörg Machel
05.11.2022 05:20
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Solange Bürgergemeinde und Kirchgemeinde noch nahezu identisch waren, spiegelten sich die Ereignisse vor der Kirchentür im Kirchraum wider. Gedenktafeln für die gefallenen Soldaten wie die auf Friedhöfen oder auf dem zentralen Platz des Ortes fanden sich auch an mancher Kirchwand. Es saßen ja oft auch die gleichen honorigen Leute im Gemeinderat und im Presbyterium der Kirche. Eine Einheit, die vielen selbstverständlich und nützlich schien, zu gegenseitigem Vorteil.

Diese Einheit ist brüchig geworden, seit nur noch knapp die Hälfte der Bundesbürger einer der beiden großen Kirchen angehört. Für manche ist das eine Schreckensnachricht, für Menschen, die in der DDR groß geworden sind, ist es Normalität. Für manche sogar ein Hoffnungszeichen. Ihnen war die Nähe von Staat und Kirche schon immer suspekt. Und das gilt nicht nur für kirchenferne Leute, auch viele treue Kirchgänger finden, dass eine Spannung zwischen Staat und Kirche unvermeidlich ist. In ihrer Lesart des Evangeliums ist mit dem Mann aus Nazareth in Wahrheit kein Staat zu machen. Seine Menschenliebe ist zu radikal, zu umfassend, um flächendeckend konsensfähig zu sein.

Wohl niemand sehnt sich nach der Zeit zurück, als Staat und Kirche sich feindlich gegenüberstanden, als Christen in der DDR in den fünfziger Jahren verfolgt wurden; auch später noch behindert und schikaniert.

Aber: Kirche muss Salz in der Suppe sein, gar nicht viel, aber ausreichend, damit nicht alles dem Markt, der Effizienz und einem naiven Fortschrittsglauben geopfert wird.

Ein Zeugnis dieser Wandlung von großer Nähe über unbearbeitete Spannung zu klarer Positionierung findet sich vor der kleinen Ölbergkirche in Berlin-Kreuzberg. Dort steht ein Kriegerdenkmal, das an die Gefallenen Soldaten des zweiten Weltkriegs erinnert. Als sich Deutschland 1999 am Jugoslawienkrieg beteiligte, wurde das Denkmal mit roter und grüner Farbe übergossen. Wir luden die nächtlichen Protestierer zum offenen Gespräch ein, doch niemand meldete sich. Vor kurzem entschloss sich die Gemeinde, ihre Position mit einer dritten Schicht zu dokumentieren. Vor der Grundschrift mit den Namen und der Farbübermalung ist nun eine durchsichtige Scheibe montiert. Die Aufschrift lautet: „Dem Andenken aller Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft!“

Bei Sonnenschein zeichnen sich die Buchstaben auf dem Grundstein ab und verbinden das sogenannte Heldengedenken, das so fragwürdig geworden ist, mit der aktuellen Mahnung, nicht zu vergessen und genau hinzusehen.

Es gilt das gesprochene Wort.