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„Hach, Weihnachten, das war immer schön, als Kind …“ Weihnachtszeit ist Kinderzeit. Und wer schon etwas älter ist, so wie ich, schwärmt gern von früher. Über den Schnee etwa, den Schnee von gestern. Ich erinnere mich, der Baum mit den Kerzen war groß, groß wie die Welt. Ich selbst war klein, die Zeit war lang, erst recht dieses ungeduldige Warten auf das Christkind… Das war nicht nur schön. Ebenso wenig wie vieles andere in jungen Jahren. Die Kinderzeit kann auch schlimm sein. Meint mein Kollege aus der Pfalz, Stefan Mendling – zuständig für das Kindergottesdienstpfarramt.
Das Schlimme am Kindsein ist, dass Kinder viel zu oft gefragt werden, was willst du denn mal werden, wenn du groß bist, weil in der Frage ja drin steckt, aus dir musst erst noch was werden, weil Kindsein ist nicht genug. Was noch schlimmer ist am Kindsein ist der Satz: „Dafür bist du noch zu klein“. Und auch, wenn das die Wahrheit ist, das ist für Kinder total frustrierend, weil die ja nix tun können dafür. Das Einzige, was sie dann tun können, um älter zu werden, ist warten …
Warten - darauf, dass man größer wird. Endlich in den Kindergarten gehen dürfen, in die Schule, in die weite Welt. Derzeit warten die Kleinen erst recht. „Warum darf ich morgen wieder nicht in die Schule?“ „Wann kann ich wieder ohne Maske Freunde treffen?“ „Wann geht Papa endlich wieder weg zum Arbeiten?“
Für die Kinder ist seit fast einem Jahr Advent, Wartezeit. Dauerbewacht zwischen Homeschooling und den Homeoffice-Eltern, bemüht oder übermüdet. Oder dauerbespaßt vom Fernseher. Weil zu Hause niemand mit einem lernen kann oder das Geld nicht für den nötigen Laptop reicht. Corona rückt sie wieder in den Fokus: Die Ungleichheit. Kinderarmut, Bildungsarmut – erschreckend, in unserem reichen Land.
Weihnachtszeit 2020. Zeit, die Kleinen in die Mitte zu stellen, sie zärtlich in den Blick zu nehmen.
Das Schöne am Kindsein ist, dass Kinder das noch draufhaben, voll und ganz in was aufzugehen, also nicht großartig darüber nachdenken, sondern ganz mit Herz und Seele dabei sind. Die sind ganz bei sich und wenn die sich mit was beschäftigen, dann sind die wie in einer eigenen Sphäre. Und wenn ich das so bei meinen Kindern beobachte, dann ist das für mich als Beobachter ein ganz magischer Moment.
Magische Momente mit Kindern. Oh ja… Da liegt er, im Körbchen. Auf dem Kahlkopf ein güldener Flaum, winzige Fingerchen, die Augen verklebt, bis er sie aufmacht – ein einziges Strahlen. Das übergeht auf mein Gesicht, mein neues, mein Mamagesicht – und auf das des Papas. Unvergesslich, dieser Augenblick. Auch wenn er – unglaublich - schon 24 Jahre her ist. „Ein Sohn ist uns gegeben…“ Es war wie Weihnachten mitten im Sommer.
Mit einem Baby wird alles anders, wird man selbst neu geboren. Ein Kind erblickt „das Licht der Welt“, heißt es - auch wenn sie oft düster scheint. Sobald ein Baby im Arm liegt, im Körbchen, in der Krippe, geschieht ein Wunder: Es wird sternenhell. Selbst im dunklen Stall.
„Ihr werdet finden ein Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen“, erzählt der Evangelist Lukas die Geburtsgeschichte Jesu. Die dieser Tage etwas anders zu erleben war. Etwa in dem Krippenspiel, das ich im Videostream gesehen habe. Das „fürchtet euch nicht“ der Engel trifft auf maskierte Gesichter und mulmige Gefühle. Bis eine Kleine keck dazwischen ruft: „Aber das Christkind kommt doch, auch wenn Corona ist!“ Die Mama lächelt, mit einem leisen „psst“, doch die anderen lachen längst laut. Kindermund befreit.
„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter…“ Was der Prophet Jesaja vollmundig vorhersagt, sehen Christen Jahrhunderte später in einem Futtertrog liegen: Christus, der Retter ist da. Kein Messias wie aus dem Prophetenbuch, kein göttlich Gesalbter mit Zepter - wie von den Juden ersehnt - kein Herrscher, der mit starker Hand durchgreift. Nein, ein Baby, darauf angewiesen, von Vater oder Mutter Hand gesalbt und gewickelt zu werden. Gott will die Welt durch ein Kind retten - ausgerechnet. Wie auch sonst, meint Kindergottesdienstpfarrer Stefan Mendling:
Immer dann, wenn Gott mit den Menschen in Kontakt kommt, in Berührung kommt, dann spielen Kinder eine ganz wichtige Rolle. Zum Beispiel Abraham und Sara, die warten auf ein Kind, auf Isaak. Ohne Isaak würde die Geschichte hier aufhören. Mose, der wird als Kind in die Arme der Tochter des Pharaos getrieben. Ohne Mose, der da beim Pharao aufwächst, würde die Geschichte hier enden. Oder Neues Testament: Jesus - fällt nicht als junger Mann vom Himmel mit Heiligenschein, sondern der wird geboren. Mit Blut und Nabelschnur und allem drum und dran.
Nackt in der Krippe. Der Gottesssohn, ein kleiner Hosenscheißer. Skandalös klingt das. „Das habt zum Zeichen, ein Kind, in Windeln.“ Doch genau das ist ein gutes Zeichen, es zeigt: Dies himmlische Kind ist mehr als menschlich. Die Welt beginnt neu in einem Wickelkind. Falls Maria und Josef überhaupt Windeln hatten - ein paar Stofffetzen vielleicht. Ihr Jesus wird arm geboren, unbehaust, zwischen Heu und Stroh, hinein ins Elend. Wie so viele, allzuviele Gotteskinder.
Gotteskinder. Wie Reyca Jay von der Insel Negros auf den Philippinen. Um sie herum steht das Zuckerrohr, vier Meter hoch, in schwüler Tropenluft. „Mein Vater schlägt das Rohr mit der Machete“, erzählt sie selbstbewusst in die Kamera, „meine Mutter trägt die Bündel zum Lastwagen…“ Reyca ist zehn Jahre alt. Sie und ihre Geschwister kriechen dem Wasserbüffel und seinem Pflug hinterher und stecken Pflänzchen in den Boden. Mit bloßen Händen, die bald bluten – die Zuckerrohrblätter sind rasiermesserscharf.
Wie Reyca geht es vielen Minderjährigen in den armen Ländern des Südens. Sie gehen nicht zur Schule, sie müssen mitarbeiten, damit die Familie überleben kann. Auch wenn den Eltern dabei das Herz blutet. Sie selbst verdienen als Erntehelfer 150 Pesos am Tag, etwa drei Euro. Das reicht kaum für eine Portion Reis. Weltweit schuften rund 150 Millionen Kinder in Bergwerken, Textilfabriken oder in der Landwirtschaft. Die Coronakrise trifft sie am härtesten.
Den Eltern fehlt Arbeit, Ernten fallen aus, der Klimawandel ist längst spürbar. Genauso wie der Hunger im Bauch. Es fehlt an Reis, an Brot, an Brot für die Welt. Wie gut, dass die Kinder dieser Erde aufstehen dagegen. Fridays for future - besser nicht nur Fridays, everyday for future. Denn es fehlt mancherorts genau daran, an Zukunft in dieser Weihnachtszeit.
„Kindern Zukunft schenken“, lautet darum das diesjährige Motto der evangelischen Hilfsorganisation Brot für die Welt – der in diesem Jahr ohne die großen Weihnachtsgottesdienste auch die großen Spenden fehlen. Doch Brot für die Welt tut, was es kann. Es fördert Hilfe zur Selbsthilfe, auch auf den Philippinen.
„Glendelyn hat mir geholfen“, strahlt Reyca. Gemeint ist die Sozialarbeiterin, als Kind zunächst auch ohne Schulbildung, unterrichtet sie nun selbst. Glendelyn besucht die verarmten Familien, verteilt Bücher, gibt Nachhilfe. „Hausaufgaben sind wunderbar, ich gehe gern zur Schule“, sagt Reyca. Und geht jeden Morgen mit ihrer Schwester los, zu Fuß, früh um fünf Uhr über die Felder, durch Monsunschlamm oder sengende Hitze. Sie möchte keine Stunde mehr verpassen. „Die Kinder haben plötzlich große Träume,“ sagt ihre Mutter stolz, mit Tränen in den Augen, „Reyca möchte Medizin studieren. Warum sollte sie es nicht schaffen, warum nicht…“ Die Mutter lernt mit ihren Kindern träumen.
Ich lerne von meinen Kindern, wieder mehr Fragen zu stellen. Ich hab´ vier Kinder und ich weiß, wenn die in die Phase kommen, wo die nach dem Warum fragen, wie ausdauernd die sein können. Ich merk oft, wenn mich meine Kinder was fragen, ich bin ein Besserwisser und meine Kinder sind Besserfrager.
Kinder sind Besserfrager. Doch was die Kleinen meinen, ist nicht immer gefragt bei den Großen. Den Besserwissern, die sich gern selbst in die Mitte rücken. Der erwachsene Jesus sieht das anders. Im Evangelium des Markus (Markus 9, 33-37) wird erzählt: Er nahm ein Kind und stellte es mitten unter sie …
Vor den Augen der Jünger nimmt Jesus ein Kind auf, hebt es auf Augenhöhe, stellt es in die Mitte: „Wer ein Kind in meinem Namen aufnimmt“, sagt er, „der nimmt mich auf“, also den Gottessohn. Heißt: Wer die Kleinsten in die Mitte stellt, ist der Größte. Skandalös ist das für die Jünger damals, denn Kinder sind außen vor. Zur Zeit Jesu haben sie keine Rechte. Sie müssen arbeiten, das Vieh hüten, im Haushalt helfen. Manche werden von der eigenen Familie verkauft und versklavt. Kinderzwangsarbeit - damals wie heute, und meist aus der Not heraus.
Auch wenn inzwischen „Kinderrechte“ gelten, vielerorts haben die Kleinsten noch immer kein Recht und keine unbeschwerte Kindheit. Und weiterhin werden sie Opfer. Im eigenen Elternhaus, hinter Kirchen- und Klostermauern. Grausige Schlagzeilen in diesem Advent über den langjährigen Missbrauch in einem Kinderheim in meiner Heimatstadt Speyer. Lange her. Wunden vernarben vielleicht, doch die Seelen bleiben verletzt. Wer ein Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich auf …
Jesus nahm ein Kind und stellte es mitten unter sie. Kinder in den Blick nehmen, auf Augenhöhe, das tut weiter not. Und - es macht fröhlich …
Genau deswegen hat ja Jesus das Kind in die Mitte gestellt, um zu sagen, orientiert euch daran. Und dann sagt Jesus noch irgendwann: „Werdet wie die Kinder“. Ist für mich ein klarer Hinweis darauf, dass wir als Kinder die Menschen sind, wie Gott sie gemeint hat. Das Größte, was Du werden kannst, in Gottes Augen, ist ein Kind.
Da werde ich doch gern wie die kleine Große, die ruft: „Das Christkind kommt doch, auch wenn Corona ist.“ Kein Schnee von gestern. Sondern der Glanz einer neuen Zeit.
Es gilt das gesprochene Wort.
Musik dieser Sendung:
- Land of Enchantment, Mark Stephen Cousins und Adam Saunders, CD-Titel: Cinematic Compendium
- Jingle Bells, Samuel Pegg, CD-Titel: Christmas Carols from Cambridge
- What’s in the Box?, Robert James Manning, CD-Titel: Keep it simple 5: Christmas/ Winter/ Magical
- A Christmas Tale, Matthew Nicholson, CD-Titel: Christmas Mixtape Vol. 2
- We Wish You a Merry X-mas, Ellgren Michael, CD-Titel: Christmas Carols