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Nichts ist gut in Afghanistan. Margot Käßmann hat das gesagt, als die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, vor 11 Jahren. Sie hat Recht behalten, aber anders, als allen lieb sein kann. Nämlich mit ihrer Warnung und Mahnung, dass Waffen keinen Frieden schaffen. Fantasie für den Frieden, für andere Formen der Konfliktbewältigung? Die hat es schwerer denn je, scheint es. Und ist gerade deswegen so notwendig.
Doch was herrscht, das ist die Angst. Blanke Furcht vor möglichen Racheakten der islamistischen Miliz. Sie bringt Menschen dazu, sich an ein aus Kabul startendes Flugzeug zu klammern. Die Bilder, wie sie ins Bodenlose stürzen, treffen auch uns, jedenfalls kurz, mitten ins Herz. So wie die von Alan Kurdi, dem zweijährigen syrischen Jungen, dessen Leichnam vor 6 Jahren an der türkischen Mittelmeerküste angeschwemmt wurde. Auch seine Flucht endete mit dem Tod.
Angst wird auch hier gemacht. 2015 darf sich nicht wiederholen, heißt es. Schon Sonntag wurde ein Asylmoratorium gefordert. Die Angst droht zum Wahlkampfthema zu werden. Das Herz wird, wenn überhaupt, nur kurz berührt und bleibt kalt. Was an dieser Sorge stimmt: Die Situation in Afghanistan, die Angst um Leib und Leben und Freiheit vieler Menschen dort, führt zur nächsten Fluchtbewegung. Sie trifft auf den jahrelangen Stillstand europäischer und damit auch deutscher Politik. Ein menschenwürdiges Verfahren, das Recht auf Asyl in Europa auch umzusetzen, gibt es noch immer nicht.
Was auch stimmt: Der Versuch, Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen, ist jedenfalls in Afghanistan, krachend gescheitert. 20 Jahre massiver militärischer Präsenz und humanitärer Hilfe haben sich innerhalb weniger Wochen und Tage als vergeblich erwiesen. Bundeswehrveteranen kommen die Tränen, wenn sie an die getöteten Kameraden und ihr vertrauensvolles Miteinander mit den Ortskräften denken. Weder die Hoffnung auf ein nation building in Afghanistan, noch der Wunsch islamistischen Terrorgruppen die Rückzugsorte zu nehmen, haben, so scheint es, eine Aussicht auf Erfolg.
Die Bilder am Flughafen in Kabul sind wie ein Brennglas für die ungelösten Probleme der Welt, in der wir leben. Mir brennen sie auf der Seele. 640 panische Menschen drängen über die Laderampe in eine Transportmaschine der U.S. Air Force. Sie startet, obwohl sie laut Hersteller nur für 134 Passagiere ausgelegt ist. Der erste Evakuierungsflug einer Bundeswehrmaschine am Montagabend hatte sieben Menschen an Bord. Die in Kabul verbliebenen Deutschen konnten nicht rechtzeitig über den kurzen Slot von 30 Minuten der Maschine auf dem Flughafen informiert werden. Vermutlich sind beide Entscheidungen sehr pragmatisch getroffen worden. Aber sie stellen die Frage, welchen Menschen gegenüber wir eine Verpflichtung zur Hilfe spüren. Im Moment jedenfalls sollte die Antwort leicht sein. Und über den Augenblick hinaus sollte klar sein: vor den drängenden Fragen von Flucht und Migration gibt es keinen Rückzug.
„Gott“ – so fragt jemand auf Twitter – „bist du jetzt in Afghanistan? Wir sind es nicht mehr, und die anderen auch nicht, die gekommen waren und geblieben sind für lange Zeit“. Auf den Straßen und im Präsidentenpalast sind jetzt die, die sich Gotteskrieger nennen. Sie scheinen sich zurückzuhalten, zumindest noch. Aber sie verbreiten Angst in Stadt und Land. Sie ist so real, dass Menschen sich an ein startendes Flugzeug klammern.
Ich glaube, Gott ist auch in Afghanistan. Aber nicht mit Listen und Zahlen und Visa und Regeln, wer noch ausreisen darf, solange es noch irgend geht. Sondern mit Besonnenheit und Mut bei denen, die Schutz und Rettung suchen. Hier bei uns sehe ich ihn ein Schild hochhalten. Nicht für den Wahlkampf, sondern um unseren Glauben nicht zum Lippenbekenntnis werden zu lassen. Leave no one behind. Lasst niemanden zurück.
Martin Luther King hat das so ausgedrückt: „Das Licht ist in die Welt gekommen. Jeder muss sich entscheiden, ob er im Licht der Nächstenliebe oder im Dunkel der Eigensucht wandeln will.“
Die Fantasie für den Frieden, für andere Formen der Konfliktbewältigung, die müssen wir noch entwickeln. Immer noch und dringender denn je.
Es gilt das gesprochene Wort.