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Festgottesdienst zum Reformationstag
Live-Übertragung aus St. Stephan in Würzburg
31.10.2021 09:05
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Predigt zum Nachlesen
 

Liebe Hörerinnen und Hörer, liebe Gemeinde,

 

mich fasziniert Paul Speratus. Ein Priester. Man schrieb das Jahr 1519, als er mit seinen 35 Lebensjahren hierher nach Würzburg an den Dom kam. Er hielt viel von Martin Luther, der im Jahr zuvor ebenfalls hier in Würzburg Station gemacht hatte.  Ja, es musste sich etwas ändern in der Kirche! Dafür setzten sich Martin Luther und Paul Speratus ein. Aber es gab Widerspruch. Speratus musste Würzburg verlassen, später saß er sogar im Gefängnis: In Iglau in Mähren, verurteilt zum Tod durch Verbrennen. Ein Schicksal, das ihm durch Begnadigung erspart blieb - Gott sei Dank. Ja, Paul Speratus wusste die Freiheit zu schätzen, die Freiheit im Leben und die Freiheit des Glaubens. Deshalb hat er dieses Lied geschrieben, das wir gerade gesungen haben: "Es ist das Heil uns kommen her".  Es singt von der Freiheit, die uns unser Glaube an Jesus Christus verleiht.

 

Manchmal tun sich auch ganz irdische Türen in die Freiheit auf. Wie gebannt saß ich damals am 30. September 1989 vor dem Fernseher. Die Menschen im Garten der Prager Botschaft waren aus der DDR geflüchtet und hatten lange dort ausgeharrt. Schließlich trat der damalige Außenminister der Bundesrepublik Deutschland, Hans-Dietrich Genscher, auf den Balkon mit den Worten: "Ich bin zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise..." - der Rest seiner Worte ging im Jubel unter. Die Mauer fiel. Freiheit. Ein Gänsehautmoment der Geschichte!

 

Auf der anderen Seite bekümmert es mich, wenn Mauern oder Stacheldrahtzäune hochgezogen werden: Zwischen Israel und dem Westjordanland. Oder an den Außengrenzen der EU. Dort gibt es keine Freiheit. Nur elende Behausungen mit Plastikplanen und Wellblech. Und Verbote. Andere Völker und Migranten sind unerwünscht. Die Bilder dazu verdrängt man gern. Sie stören, weil sie uns vor Augen führen, wie unfrei und unfähig und herzlos unsere Gesellschaft manchmal doch sein kann.

 

Oder wenn ich an die Nachrichten aus Afghanistan denke: Dort gibt es Menschen, die der Gewalt schutzlos ausgeliefert sind. Rechte, Frauenrechte, Pressefreiheit - alles das gibt es dort nicht mehr. Wer anders denkt, wer anders glaubt und anders lebt als es die Ideologie vorgibt, der muss sich verstecken. Es bekümmert mich, wenn Menschen ihre Freiheit genommen wird.

 

Manchmal sind es auch Naturgewalten, die einem alle Freiheiten nehmen. Ganze Häuser werden einfach weggeschwemmt, Existenzen zerstört. Man hilft sich zwar gegenseitig, viele haben gespendet für die Menschen im Ahrtal und in den anderen Flutgebieten. Aber der Wiederaufbau fällt schwer, manchen auch zu schwer.

Außerdem hat Corona unsere Welt immer noch im Griff. Wir suchen Auswege aus der Pandemie. Aber wir wissen auch, dass das Virus nach wie vor vorhanden ist und lebensbedrohlich sein kann. Welche Freiheiten kann und soll es geben? Eine Gratwanderung.

 

Wenn man in den Bergen auf einem schmalen Grat wandert, geht es sowohl links als auch rechts steil bergab. Viel kann man verkehrt machen. Daneben treten. Stürzen. Aber wenn man dann doch auf dem Gipfel angekommen ist, dann überkommt einen dieses unbeschreiblich schöne Gefühl der Freiheit, der Blick geht weit ins Land bis zum Horizont. Ein Gänsehautmoment, den ich liebe!

 

 

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

schreibt der Apostel Paulus im Brief an die Menschen in Galatien.

 

Wie kann Jesus Christus Menschen - uns Menschen - zur Freiheit verhelfen? Bei Paulus waren drastische Mittel notwendig. Zuvor war er aggressiv, voller Hass, und verfolgte die Christen. Bis ihn Gott selber ansprach:

Saulus, Saulus, was verfolgst Du mich?

 

Ich finde es erstaunlich, dass so eine einfache Frage so viel bewirken kann. Aber diese Frage hat ihn mitten ins Herz getroffen. Welch ein Gänsehautmoment! Und Saulus wurde zum Paulus. Er ließ sich taufen und vertauschte die Gewalt mit der Predigt des Evangeliums von Jesus Christus.

 

Eine solche Befreiung löst vieles aus. Alte Zwänge gibt es nicht mehr. Das Herz wird leicht. Man kann einfach lieben und mit Gott in Beziehung leben und sich liebevoll anderen Menschen zuwenden. Das ist die Freiheit des christlichen Glaubens! Eine Freiheit mit Bindung.

 

Das war auch für Martin Luther die entscheidende Erkenntnis. Als er im Sommer 1520 die päpstliche Bannandrohungsbulle erhielt, schrieb er den Traktat "Von der Freiheit eines Christenmenschen". Darin beschreibt er die Freiheit und ihre Bindungen. Und es sind vor allem zwei Sätze, die sich gegenseitig zu widersprechen scheinen, die aber doch zusammengehören und die Luther immer wieder durchbuchstabiert:

 

1. Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.

2. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

 

Freier Herr und dienstbarer Knecht zugleich? Wie passt das zusammen? Luther spricht hier über den Christenmenschen. Über den, der sich im Glauben allein an Gott und Jesus Christus gebunden weiß. Diese Bindung macht ihn frei. Im Herzen vertraut er einfach nur auf Gott. Und dann kann ihn nichts und niemand sonst beherrschen, keine Mächte, keine Gewalt und keine Ideologie.

 

Niemandem untertan sein - was das bedeuten kann, das hat ein Schauspieler der Welt sehr eindrücklich vor Augen geführt: Charlie Chaplin. In seinem ersten Tonfilm im Jahr 1940 - es war schon Krieg - parodierte er den Diktator Adolf Hitler. Viele wollten ihn davon abhalten, waren skeptisch oder feindeten ihn an. Aber Charlie Chaplin ließ sich nicht von seinem Vorhaben abbringen. In der Filmfigur des kleinen jüdischen Friseurs mit einem kleinen schwarzen Mittelbart auf der Oberlippe sagt er:

 

Es tut mir leid, aber ich möchte nun mal kein Herrscher der Welt sein, denn das liegt mir nicht. Ich möchte weder herrschen, noch irgendwen erobern, sondern jedem Menschen helfen, wo immer ich kann. Den Juden, den Heiden, den Farbigen, den Weißen. Jeder Mensch sollte dem anderen helfen, nur so verbessern wir die Welt.

Wir sollten am Glück des Anderen teilhaben und nicht einander verabscheuen. Hass und Verachtung bringen uns niemals näher.

Auf dieser Welt ist Patz genug für jeden, und Mutter Erde ist reich genug, um jeden von uns satt zu machen. Das Leben kann ja so erfreulich und wunderbar sein. Wir müssen es nur wieder zu leben lernen... (mit) ... Toleranz und Güte. Ohne Menschlichkeit und Nächstenliebe ist unser Dasein nicht lebenswert.

 

(Quelle: http://www.zelluloid.de/filme/kritik.php3?id=855&tid=253, gekürzt und leicht bearbeitet)

 

Menschlichkeit und Toleranz und Güte. Ein Schauspieler, der sich diese Freiheit heraus nimmt und dazu steht, ist ein Affront gegen den Zeitgeist. Ich finde: Seine Worte haben nichts an Aktualität verloren. Wir sind nichts und niemandem untertan.

 

Und doch sollen wir anderen dienen. Das ist eine Aufgabe. Und wir haben die Freiheit, sie mit Liebe zu füllen.

 

Wie das geht, erlebe ich durch eine ältere Frau aus unserer Gemeinde. Täglich besucht sie ihren Mann im Pflegeheim. Er ist dement. Vieles geht nicht mehr so wie früher. Aber sie sucht tagtäglich in dem Wenigen, was geblieben ist, wie sie Schönes und Liebevolles mit ihm zusammen entdecken kann. Sie bringt ihm Blumen mit, auch wenn er sie mit seinen Händen zerpflückt. Sie liest ihm Gedichte vor. Matthias Claudius kennt er von früher. Und sie singt Gesangbuchlieder. Dann lächelt er. Wer weiß, was in ihm vorgeht. Aber er lächelt. Und die Musik verbindet die beiden, schlicht und ergreifend. Ein Gänsehautmoment. Mitten in einem so begrenzten Leben: ein Stück Freiheit in Liebe!

 

Zur Freiheit hat uns Christus befreit!

Ja, unser Glaube macht stark und sensibel zugleich, auch wenn uns das Leben herausfordert. Damit wir lieben. Damit wir unabhängig und kritisch, aber auch selbstkritisch sind. Damit wir deutlich werden können, aber auch gütig bleiben.

 

Und ich denke: das können wir! Immer dann, wenn sich Menschen fremdenfeindlich äußern - mit Parolen, die zwar von Freiheit reden, aber Egoismus und Gleichgültigkeit predigen - immer dann muss ich auch an Chia Rabiei denken, einen Kurden aus Afghanistan. Er war einer der mutigen Menschen, die sich Ende Juni dem Messer-Attentäter hier in Würzburg entgegenstellten. Nur mit seinem Rucksack bewaffnet versuchte er, ihn in Schach zu halten. Vermutlich hat er so noch Schlimmeres verhindert. Ich bin froh und dankbar, dass solche Menschen unter uns leben. Menschen mit Mut und Zivilcourage.

 

Oder wenn wir über die Begleiterscheinungen der Pandemie reden, über Regeln, Nachweise und Freiheiten. Wovon lassen wir uns leiten? Von Rechthaberei oder Meinungsmache? Oder von Liebe und Sensibilität? Wir müssen die zwischenmenschlichen Defizite überwinden. Wir müssen unsere gemeinsamen Lebensräume wiedergewinnen. Wir müssen offen miteinander reden und dann, wenn es wirklich Not tut, uns auch in die Arme nehmen können. Auch alte Menschen, Einsame und Kinder. Vor kurzem erst hat mir ein Arzt unserer Uniklinik gesagt: Ich bin jetzt zuversichtlich, dass es besser wird. Und er selbst lässt sich jetzt zum dritten Mal impfen, weil es vor einem schweren Krankheitsverlauf schützt. Ich finde: Auch das ist eine Freiheit, die wir haben und die wir nutzen sollten, wenn wir das können!

 

Wir haben eine große Freiheit, in jeder Beziehung:  Sie macht unser Herz leicht, weil Gott es in seinen Händen hält und niemand sonst. Und sie macht es, dass wir uns anderen Menschen zuwenden, sensibel und freundlich und liebevoll - das ist die Freiheit, zu der uns Christus befreit!

 

Amen

 

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Dlf Gottesdienst