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Sendung zum Nachlesen:
In diesen Juliwochen halten wir die Hitze kaum aus. Was für eine Ironie: Der Heizungsstreit ist noch nicht richtig vorbei, da warnen Mediziner vorm Hitzestau, nicht nur für ältere und kranke Menschen. Überhitzung ist ja ein mehrdeutiger Begriff. Es plagen uns nicht nur die klimatischen Hitzeregionen in Deutschland und Europa. Auch die Temperaturen in gesellschaftlichen und persönlichen Debatten sind gestiegen.
Draußen herrscht Hitze und sie brodelt innerlich in vielen Leuten. Vieles ist gleich eine Schuldfrage. Die Klimakleberin gibt den Älteren, die für den menschengemachten Klimawandel verantwortlich sind, die Schuld. Ein LKW-Fahrer fährt einen Aktivisten auf der Straße an, mit voller Absicht und dem Gefühl, im Recht zu sein. Hass auf der Straße ist aber ein genauso schlechter Ratgeber wie Panik vorm Weltuntergang.
Ich merke, wie ich selbst Teil des Problems bin. Ich fliege in den Urlaub, bin also einer der vielen, die die Flugzahlen jetzt in die Höhe treiben. Ich spüre den Druck, mich zu rechtfertigen. Der Sog der einfachen Lösungen ist stark: Ich verdränge Herausforderungen wie Nachrichten, die mich nerven. Ich finde Schuldige: Die ignoranten Älteren, die arroganten Jungen. Als müsste der Generationenkonflikt nur besser moderiert werden. Bis der nächste Aktivist vor mir auf der Straße klebt und mir der Kragen platzt.
Einer meiner Freunde hat im Berlin der 68er-Jahre studiert, war auf Demos, saß beim Sit-in auf der Straße. Jetzt regt er sich auf über die Klimakleber und ihr gestörtes Demokratieverständnis, das Nötigung für legitim hält, um höhere Ziele zu erreichen. Ich frage ihn: ‚Sag mal, habt ihr damals auch freundlich die Behörde informiert, wo und wann ihr eine Demo machen wolltet? Ihr wart doch auch ungeduldig mit der älteren Generation, die der Täter und Mitläufer, die Krieg und millionenfachen Mord verdrängt haben. Ihr wolltet eine bessere Republik, eine andere Gesellschaft. Und da soll der Protest für eine bessere und überlebensfähige Welt ein schlechteres Anliegen sein? Und deren Mittel jetzt sollen unbedingt demokratischer sein als eure Mittel damals?‘
Ich frage mich selber: Werden in 25 Jahren meine Kinder und Enkelkinder über mich dasselbe sagen, was ich über die Generation meiner Eltern und Großeltern gesagt habe? Dass ich nicht dauernd auf die Versäumnisse der Vergangenheit angesprochen werden möchte? Dass ich deshalb so bockig gegenüber Vorwürfen bin, weil ich es mitverbockt habe und schon viel früher etwas dagegen hätte tun können?
Ich möchte etwas viel wichtiger nehmen als meine Schuldgefühle und Ambivalenzen: Dass ich nicht nur Teil des Problems, sondern auch Teil der Lösung bin. Auch auf mich kommt es an. Was könnte die Betriebstemperatur in mir und unter uns abkühlen?
Ganz praktisch das, was an vielen Orten gerade geschieht: Kühle Räume zur Verfügung stellen, kleine Auszeiten ermöglichen in öffentlichen Räumen, in der kühlen Kirche, in der Leute in der Mittagshitze Luft holen, aufatmen können. Mich dort runterkühlen, und womöglich ins Gespräch kommen mit jemandem, dem ich sonst nicht begegnen würde.
Genauso praktisch: Selber ein Abkühler in Debatten werden. Unaufgeregter hinschauen, auch wenn es schwerfällt. Sich von Reizworten nicht so triggern lassen. Nicht jedem Reflex nachgeben, über die Schlechtigkeit der Menschen herzuziehen. Auch nicht, wenn sie mir ins Auge springt. Daran erinnert Jesus: Was siehst du den Splitter im Auge deines Gegenübers, den Balken im eigenen Auge übersiehst du.
Ich wünsche mir, dass die Aktivisten sich etwas Besseres einfallen lassen. Dass sie ihre Straßenklebe-Aktionen beenden, weil die Nebendebatte darüber ablenkt. Ich wünsche mir, dass diejenigen, die sich über die Protestaktionen echauffieren, sich anderes einfallen lassen als geistloses ‚Hau drauf‘. Das könnte die Temperaturen etwas abkühlen. Damit die Leute etwas Abstand von sich selbst finden. Und erkennen: Mein Gegenüber ist nicht der Feind. Der Klimawandel ist der Feind von uns beiden.
Es gilt das gesprochene Wort.