Guten Abend.
Jeden Morgen kommt ein bunter Trupp auf dem Hof meiner Kirchengemeinde zusammen: Frauen und Männer, die losziehen, um Wohnungen zu renovieren. Sie streichen Wände, die gefühlt 20 Jahre keine Farbe gesehen haben. Tauschen den 40 Jahre alten Teppichboden aus. Helfen so vereinsamten Rentnern, Alleinerziehenden, chronisch Kranken oder Frauen, die vor häuslicher Gewalt fliehen.
Es ist ein echtes Nachbarschaftshilfe-Projekt. Hier begegnen sich Menschen, die sich sonst nicht begegnen würden. Langzeitarbeitslose und junge Leute auf Orientierungssuche zum Beispiel.
Und dabei tut sich auch was in den Köpfen: Etwa bei Georg. Der haut öfter mal ausländerfeindliche Sprüche raus. Und dann ist er auf der Baustelle mit Surik zusammen, einem Jesiden aus dem Irak. Er erfährt von Suriks Flucht und dass seine Familie noch immer in einem Flüchtlingslager ausharren muss. Das macht den deutschen Kollegen dann doch nachdenklich. Und Surik? Der stellt überrascht fest: Es gibt ja auch Deutsche, die nicht genug zum Leben haben.
In der „großen Politik“ laufen gerade Debatten, in denen Milliardenbeträge verteilt werden. Ums Elterngeld wird gerungen, das Ehegattensplitting steht auf dem Prüfstand; Krankenhaus und Pflege brauchen auch Geld.
Wieviel von diesen Milliarden billigt man den sozial Schwachen und deren Kindern zu? Sie machen immerhin mindestens ein Fünftel der Gesellschaft aus. Und immer mehr kommen aus der gesellschaftlichen Mitte.
Sehen „die da oben“ das überhaupt? - „Die da oben“ - „die da unten
Eigentlich will ich gar nicht in solchen Gegensätzen denken. Aber es gibt sie ja, diese wachsende Kluft zwischen der Lebensrealität von Georg oder Surik und dem, was in der großen Politik entschieden wird.
Vielleicht, nein: bestimmt werden die Entscheidungen gerechter ausfallen, wenn mehr Politiker und Politikerinnen „von oben“ mal zu uns runterkommen. Mal Wände streichen für ein frisches Lebensgefühl. Und dann für sechs Monate mit der Grundsicherung auskommen. Könnte zum Erweckungserlebnis werden.
Wer hoch hinaus will, muss sich erst einmal erden. - Hat Jesus auch so gemacht. Der kam ja sozusagen von „ganz oben“ zu uns runter. Als „Mann der Straße“ ging er sowohl auf die Prostituierte als auch auf den römischen Hauptmann zu. Und im Kontakt mit ihm änderten Leute ihr komplettes Leben. Wie der Zöllner Zachäus. Der gab den Armen das Geld zurück, das er ihnen abgepresst hatte.
Runterkommen. Sich erden. Die eigene „Blase“ einmal verlassen, um die Lebensrealität der anderen besser kennen zu lernen. Ich bin sicher: Eine solche Haltung schafft mehr sozialen Ausgleich in unserer aufgespaltenen Gesellschaft.
Jesus war ein Mann der liebevollen wie der klaren Worte. Er holte die Mächtigen vom Sockel und gab den Niedrigen die Würde zurück. Diesen Geist Jesu wünsche ich mir für die aktuelle politische Debatte. Und ich bin dankbar, dass doch viele aus allen Schichten diesen Ausgleich leben. Oft leise und unaufgeregt. Sie halten die Gesellschaft zusammen.
Haben Sie einen gesegneten Sonntag.
Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB)
Redaktion: Ulrike Bieritz
Katholischer Rundfunkbeauftragter für den RBB
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