Das Feuerzeug
Die Nacht war außergewöhnlich dunkel. Schon am Nachmittag hatten schwere Wolken unser Zeltlager beschattet. Sie hatten an Dichte nicht nachgelassen; jedenfalls war kein Stern zu sehen und außerdem war es Neumond. Aber das störte uns nicht besonders. In den Zelten war es trocken und wir schliefen ruhig in unseren Schlafsäcken. Da schrillte eine Stimme durch das Dunkel: „Ich bin blind, ich bin blind!“ Es war die panisch erregte Stimme meines kleinen Sohnes. Ich krabbelte aus meinem Schlafsack und kroch in der pechschwarzen Dunkelheit zu dem Zelt, in dem die Kinder schliefen. Das Geschrei wurde noch größer, meine beruhigenden Worte fruchteten nichts. Ich griff in die Tasche meines Schlafanzuges. Richtig, da war das Feuerzeug, das ich aus Sicherheitsgründen stets mit mir führte. Es machte Klack, die Flamme leuchtete auf und sofort hörte das Geschrei auf. Mein Sohn kniete auf seinem Schlafsack, sah das Licht, legte sich hin und schlief augenblicklich ein. Eine halbe Sekunde Licht von meinem Feuerzeug hatte genügt, um ihn davon zu überzeugen, dass er nicht blind war und sehr wohl sehen konnte.
Verschiedene Dunkelheiten
Viele Menschen machen die Erfahrung, dass Dunkel über sie hereinbricht. Das kann eine Krankheit sein, das kann eine zerbrechende Ehe sein, der Verlust des Arbeitsplatzes und vieles mehr. Wie man es auch dreht und wendet, es gibt kein Licht mehr in dieser Dunkelheit. Dabei hat jede Dunkelheit ihren eigenen Charakter; jeder Mensch, über den sie hereinbricht, hat seine eigene Art, damit umzugehen. Manche fangen an zu schreien. Der Schrei kann lautlos sein wie bei einer Depression. Spätestens dann ist fachliche Hilfe notwendig. Gutgemeinte Ratschläge oder fromme Sprüche nützen jetzt nichts mehr und machen das Elend oft noch größer. Denn man hat das Gefühl, dass es gerade die Mitmenschen sind, die daran schuld sind, dass es einem so schlecht geht. Oder dass sie einen zumindest nicht verstehen und nicht genug unterstützen. Von ihnen und ihrem leichtfertigen Trost ist nichts zu erwarten.
Göttliches Licht
Wie gut aber hat es ein Mensch, in dessen Dunkelheit das Licht Gottes aufscheint. Das kann im stillen Licht einer Kerze geschehen, plötzlich, ungeplant. Das kann wie ein Blitz sein, der in einem Augenblick die Dinge schlagartig erleuchtet und wieder erlischt. Dazwischen gibt es keine Situation, in die das Licht Gottes nicht hineinscheinen kann. Wenn dann die Kerze erloschen ist, wenn der Blitz sich ausgetobt hat, wenn es wieder dunkel ist – die Erfahrung bleibt: Gott ist da, der selbst das Licht ist und der selbst in unser Leben das Licht bringen will. Gegen alle Finsternis und alle Furcht.
Hoffnungsschimmer
Doch ist es nicht immer angenehm, im Licht Gottes zu stehen. Denn es leuchtet nicht nur in meine Lebenskrisen und erhellt sie. Es leuchtet auch dorthin, wo ich selbst eigentlich nicht hinsehen möchte und wo doch die Ursache für meine Dunkelheit liegen könnte. Eine Schuld wird offenbar, die ich in mir trage und die mich zu meinem Dunkel geführt hat, mein Versagen, mein Zynismus und vieles mehr, für das ich eigentlich blind sein möchte. Ich erkenne in diesem Licht, dass ich Vergebung brauche – dass Menschen mir vergeben, an denen ich schuldig geworden bin; dass Gott mir vergibt, den ich aus meinem Leben hinausdrängen wollte. Doch gerade dann, wenn mir vergeben wird, leuchtet das Licht Gottes wohltuend in mein Herz in mein Leben. Der da einst gesagt hat: „Es werde Licht!“ sagt es wieder und wieder im Leben derer, die ihm vertrauen. Und wenn doch wieder die Dunkelheit hereinbricht – es bleibt die Erfahrung: in allem Dunkel ist Gott, der mich erleuchtet hat und mich wieder erleuchten kann. Wie gut, wenn dann aus der Leuchtspur einer Erinnerung ein Hoffnungsschimmer geworden ist.