Bei einem meiner letzten Urlaube in Kamerun traf ich zufällig auf einen längst vergessenen Bekannten aus meiner Kindheit. Damals besuchte er, Bekono, regelmäßig Dörfer in einem weiten Umkreis. Auch unser Dorf. Eine Hupe an seinem Fahrrad machte die Menschen Tag und Nacht auf ihn aufmerksam. Dass es ihm gelang, auf seinem Sattel zu sitzen, glich einer akrobatischen Meisterleistung. Von der Lenkstange bis zum Gepäckträger hingen unzählig viele Taschen und Beutel in allen erdenklichen Größen und Formen herab. Der ausgebildete Krankenpfleger führte Medikamente und Untersuchungsgeräte mit sich. Für die Dienste, die er anbot, hätten die Dorfbewohner in die Stadt fahren müssen, was damals äußerst umständlich war. Die Untersuchung kostete bei ihm nichts, und die Medizin war nirgendwo so preisgünstig wie bei ihm. Bekono war stets ein willkommener Gast. Doch leider verstieß er damit gegen das Verbot, Heilmittel ohne Erlaubnis zu vertreiben. Dafür wurde er immer wieder verhaftet und eingesperrt. In solchen Zeiten mussten seine Patienten Monate, sogar Jahre auf ihren »Dokita« verzichten.
»Wer geduldig ist, den erschüttert nichts«
Ich traf ihn dieses Mal völlig unerwartet. Alt war er geworden, vollkommen erblindet, und seine Hände zitterten pausenlos. Von jener aktiven Zeit sprachen wir wie von einer längst vergessenen Vergangenheit. Aber sein Enthusiasmus wuchs schnell, je mehr Details die Erinnerung offenlegte. Ich wollte wissen, warum er damals nie aufhörte, obwohl die Zeiten im Gefängnis sehr qualvoll für ihn waren. Ich fragte, wie er nach jeder Entlassung erneut auf das Fahrrad stieg, wohlwissend, dass die nächste Verhaftung sicher bald wieder bevorstand. Da lachte Bekono leise und wiegte seinen Kopf langsam hin und her. »Geduld«, sagte er, fast flüsternd. »Wer Geduld hat, der trotzt auch der schlimmsten Quälerei. Denn du weißt, dass das, was du tust, gut ist. Die Freude darauf, es wieder zu tun, lässt dich sogar über diejenigen lachen, die dich misshandeln.« Ich wartete still, denn sein fortdauerndes Lächeln deutete an, dass ein Nachschlag unterwegs war. Dann kam er, der Satz, der wie eine Sonne alles belichten sollte: »Die Geduld ist die Mutter aller Tugenden. Wer geduldig ist, den erschüttert nichts.« Der alte Bekono hatte es geschafft, dass ich ihn bewunderte. Ich konnte zwar nicht glauben, dass die Geduld über so viel Macht verfügt. Aber seine Worte klangen in diesem Augenblick wie Musik.
Was macht Geduld aus?
Heute frage ich mich, wie die Geduld es schaffen kann, so viel Kraft, so viel Mut und Festigkeit in einem Menschen zu bewirken. Woher kommt diese Kraft? Man schreibt der Geduld zu, dass sie einem Menschen hilft, den Ärger über eine missliche Situation als nicht hilfreich anzusehen. Handelt es sich um die Fähigkeit, den eigenen Stress in schwierigen Situationen zu minimieren? Blendet das Wissen um eine kommende positive Situation das aktuelle Leiden aus? Bekono freute sich darauf, den Menschen in den Dörfern erneut zu helfen. War diese leuchtende Imagination seine Kraftquelle? Schaffte sie es, die Gegenwart vergessen zu machen? Fragen über Fragen.
Die Weisheit der Sprichwörter
Bekono hatte seine Antwort in zwei geteilt. Erst erzählte er indirekt von sich. Er wusste von all dem Guten, das in seinem Handeln steckte und das auf ihn wartete. Doch dann verstärkte er seine Worte, indem er sie auf einen »Sockel« hob: Er übersetzte sie mit einem Sprichwort, mit geronnener Erfahrung und Plausibilität also. Sprichwörter wurzeln tief in der Lebenspraxis. Vor allem aber überdauern sie die Zeit, durch die sie ihren Wahrheitsgehalt retten. In vielen Kulturen bilden sie eine verlässliche Berufungsinstanz, wenn es um Wahrheitsfindung geht. Sprichwörter bedürfen keiner Legitimation. Sie bilden in vielen Fällen selbst die Legitimation. In den Sprichwörtern widerspiegelt sich die Geschichte des Menschen mit seinen Stärken und Schwächen. Dafür liefert auch die Bibel wertvolle Beispiele. In Sprüche 16,32 heißt es über die Geduld: „Ein Geduldiger ist besser als ein Starker und wer sich selbst beherrscht, besser als einer, der Städte einnimmt.“
Worauf es ankommt
Dieses biblische Sprichwort stellt die Geduld in einen Vergleich mit der physischen Stärke eines Menschen. Parallel dazu wird aber das Kriegstreiben kurz eingeblendet: Sich selbst beherrschen sei besser als Städte einnehmen. Ich bin sicher, Bekono würde hier zustimmend schmunzeln. Vielleicht würde er hinzufügen, es komme auf das an, was langfristig ein Leben in der Gemeinschaft ermöglicht.
chtigen. Doch es bleibt zugleich eine Verpflichtung. Wer hört, ist dafür verantwortlich, dass auf das Gehörte reagiert wird.