Friedensfantasien
mit Lissy Eichert aus Berlin
28.10.2023 23:45

Guten Abend.

Vor meiner Haustür in Neukölln scheint manchmal der Nahostkonflikt zu toben. Brennende Mülltonnen, Straßenbarrikaden, enthemmte Wut. Festnahmen. Verletzte. Eine weitere Protestnacht auf der Sonnenallee ist vorüber. Das Schrecklichste dabei ist für mich, wenn Judenhass auf deutschen Straßen ausbricht.

Die Sonnenallee mit ihrem orientalischen Flair, den Baklawas, Gewürzshops, den Shishabars – hier spielt sich das Leben ab. Familiensinn ist zu spüren. Und Lebensfreude.

Jetzt werden Trauer, Wut, der Schrei nach Gerechtigkeit auf die Straße getragen. Eine Streetworkerin, die auf der Sonnenallee arbeitet, kennt viele Palästinenser, die den Terror der Hamas verabscheuen. Die Hamas schadet dem gerechten Anliegen der Palästinenser. Wie alle, die auf unseren Straßen Gewalt ausüben, auch.

Ein knapper Wortwechsel zwischen mir und einem arabischen Nachbarn: „Wie geht’s?“ Er nickt. „Hamas nix gut. Macht alles kaputt.“

Hass macht Leben kaputt. Krieg macht Leben kaputt. Überall: Leben kaputt.

Die Alternative heißt Frieden.

Doch wie geht Frieden?

In einem Gebet heißt es:

„Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens. Dass ich liebe, wo man hasst.“ Richtig. Und fast unmöglich. -  „Dass ich verbinde, wo Streit ist.“ Schwierig, aber unsere Aufgabe.  -  „Dass ich die Wahrheit sage, wo der Irrtum ist.“ Extrem wichtig bei der Flut von fake news.  -  „Herr, lass mich trachten, nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe.“ Diese Haltung finde ich am wichtigsten: Empathie - auch für die Gegenseite.

Denn tragfähige Lösungen werden wir nur finden, wenn jede Seite gehört wird – das ist schon schwierig genug - und wir lernen, mit den Augen der anderen auf den Konflikt zu schauen.

Mich beeindruckt Daniel Barenboim. Der Pianist und Dirigent leitete 30 Jahre die Berliner Staatsoper Unter den Linden. Als einziger Mensch auf der Welt hat er als Jude - neben seiner israelischen, symbolisch die palästinensische Staatsbürgerschaft angenommen. Barenboim ist überzeugt: „Die Bereitschaft zur Empathie ist essenziell.“

 

Nur durch Mitgefühl, den Willen, Gegensätze auszuhalten, auch Meinungsstreit, ist Barenboims Lebenswerk gelungen: Arabische und israelische Musikerinnen und Musikern vereint in einem Orchester. Mit einer Stimme setzen sie sich ein für friedliche Lösungen im Nahen Osten.

So ein Orchester würde ich jetzt gerne auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln hören…!

Zwar werden weder Friedensgebete noch Friedensmelodien die Höllenbilder des Terrors aus den Köpfen und Herzen löschen können. Doch alles, was Sie und ich für Verständigung und Frieden tun, führt uns heraus aus der Resignation. Und bewahrt vor Gleichgültigkeit.

Darum bete ich - und vielleicht können oder mögen Sie mitbeten: „Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens.“

Ich wünsche uns allen einen friedvollen Sonntag.

Sendeort und Mitwirkende

Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB)

Redaktion: Ulrike Bieritz

Kontakt zur Sendung

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