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Die Sendung zum Nachlesen:
Wieder sind die Kraniche über unser Haus geflogen. Ihr heiseres Rufen kündigt sie an. Wenn ich schnell genug auf den Balkon stürze und den Kopf in den Himmel recke, sehe ich sie. Eine Formation von 20, 30 Vögeln. Sie kommen von Nordosten und fliegen Richtung Südwesten. Zunächst nach Linum. Dem Kranichort im Havelland. So nehme ich an. Mit ein bisschen Glück taucht noch eine Gruppe auf und noch eine. Bis sie schließlich in der Ferne verschwinden. An guten Tagen sehe ich so vielleicht 100, 150 Kraniche über unser Haus fliegen. Einen Bruchteil der 300.000 Tiere, die das Land jeden Herbst überqueren. Mecklenburg, Brandenburg, Niedersachsen, Westfalen, Hessen. Immer weiter nach Westen bis nach Spanien und Nordafrika. Andere Kraniche fliegen andere Routen, aber die kommen nicht bei mir vorbei. "Meine" Kraniche fliegen nach Westen.
Seit ich in Brandenburg wohne, werde ich nicht müde, diese eigentümlichen Tiere zu beobachten. Ihre Eleganz. Wie sie majestätisch über Felder und Lichtungen schreiten. Nach Nahrung suchend oder tänzelnd. Einmal ging ein Kranich-Paar in einigem Abstand vor mir her. Wie zwei ältere Herren sahen sie aus, ins angeregte Gespräch vertieft.
Ich bewundere ihre spektakulären Landungen auf den abgeernteten Feldern, in denen sich mancher nahrhafte Schmackofatz findet. Ich bin jedes Mal neu fasziniert über ihre Flugformation, das bewegliche V am Himmel.
All das ist für mich einfach nur staunenswert. Ein echtes Wunder der Natur. An dem ich mich wie ein Kind freue. Eine Freude an Schöpfung und Schöpfer. Die überkommt mich beim Anblick dieser großen Vögel.
Und noch etwas kommt dazu. Auch das rühren diese Tiere bei mir an. Der Kranich kann sich einfach auf- und davonschwingen. Das ist für einen Vogel nicht ungewöhnlich. Wohl aber seine Ausdauer. Tausende von Kilometern. Kraniche entfliehen dem Winter aus eigener Kraft und kommen zurück, wenn es hierzulande wieder wärmer ist. Sie kehren dem Leben hier den Rücken und erheben sich in die Lüfte – in die große Freiheit.
Das verbinde ich auch mit dem Kranich: Freiheit. Ein magisches Wort, das mich in den Bann zieht. Frei sein – das möchte ich. Das wollte ich schon immer. Fast atemlos habe ich deswegen als Jugendliche den "Don Carlos" von Friedrich Schiller verschlungen. Eigentlich eine ungeliebte Pflichtlektüre. Für mich eine Offenbarung. Besonders die Szene, in der Marquis von Posa vom spanischen König Philipp II. fordert: "Geben Sie Gedankenfreiheit, Sire!" Nur vier Worte und welche Kraft!
Deswegen habe ich auch die Freiheitsbewegungen im Nahen Osten so gut verstanden. Über zehn Jahre ist das nun her. Wie groß waren die Hoffnungen – und wie ist alles, alles zerstört worden. Noch nicht einmal die kleine Freiheit, die die Leute früher hatten, ist jetzt noch möglich. Alles verloren.
Freiheit – ein ungedeckter Scheck, den man nicht einlösen kann? Ein großes Wort, das an der Wirklichkeit scheitert? Ich hoffe nicht. Ich glaube nicht. Im Gegenteil!
Ich glaube, dass die Freiheit stark ist. Stärker als alles, was sie verhindern will. Es braucht nur eine kleine Flamme und schon lodert die Sehnsucht nach der Freiheit wieder. Sich der Enge zu entledigen.
In einem Interview sagt die Journalistin Sabine Rückert: "Ich bin der freieste Mensch der Welt. Ich kann jederzeit meinen Hut nehmen." Ob’s wirklich stimmt, weiß ich nicht.
Ich jedenfalls bin nicht der freieste Mensch der Welt. Ich trage Verantwortung für meine Mitarbeitenden, das Unternehmen, in dem ich tätig bin. Ich habe mich verpflichtet, für unsere alten Eltern Sorge zu tragen. Kurz: Ich lebe in vielen Beziehungen, die mich nicht ungebunden sein lassen. Sie sind mir wichtig.
Aber es gibt ja auch das: Freiheit in Bindung. Freiheit nicht im leeren Raum, sondern in den Beziehungen, in denen ich lebe. Die Freiheit in Bindung schließt den Tagtraum ein: Mich gelegentlich wie der Kranich auf und davon zu schwingen, in den Himmel zu schrauben, in dem Wissen: Du bist frei. Freier, als du denkst.
Es gilt das gesprochene Wort.