Spaltung überwinden
mit Lissy Eichert aus Berlin
14.09.2024 23:35

Was kann helfen, über unterschiedliche Positionen hinweg wieder versöhnlicher miteinander umzugehen? Wie könnte konstruktiver Meinungsstreit aussehen? Für die Theologin Lissy Eichert ist der Respekt vor der Person des Anderen eine Grundhaltung, um Spaltungen auszuhalten und zu überwinden. Weil jeder Mensch ein Recht darauf hat, ernst genommen und mit Achtung behandelt zu werden.

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Guten Abend.

Ich gestehe – ich bin ratlos. Wie können wir diese Spaltungen in unserem Land aushalten, ja: überwinden? Sicher, die meisten Menschen verstehen sich irgendwie, auch bei mir in Neukölln – und der Zusammenhalt ist größer als die Spaltung. Dafür bin ich dankbar.

Doch der Ton wird immer gnadenloser, auch in der Politik und den Sozialen Medien. Und wenn ich manche da nur über Fallzahlen reden höre, frage ich mich, ob sie menschliche Schicksale persönlich kennen. Natürlich kann ich niemanden zwingen, auf andere zuzugehen; sich in die Situation des anderen hineinzuversetzen.

Und doch: Letzte Woche erzählte mir ein Handwerker-Meister, wie er bei seinem Besuch auf der Baustelle auf die simple Frage "Wie läuft´s?" – wom - den geballten Frust eines Kollegen abbekam: Baumaterial zu teuer, Preise sind nicht zu halten, Aufträge brechen weg. Und deshalb wird jetzt eine Partei gewählt, von der man sich verstanden und vertreten fühlt. "Okay," dachte er sich, das wird jetzt länger dauern. Trotz Zeitdruck hörte er sich die ganze Misere an, die Angst vor dem Absturz. Vieles konnte er auch total nachvollziehen. Und obwohl die beiden politisch nicht zusammenfanden, konnten sie sich am nächsten Tag doch freundlich begegnen. Die menschliche Ebene war nicht weggebrochen. Auch, weil sie sich gegenseitig ernst genommen haben.

Der Geist der Spaltung ist da, und er zertrennt - Ost und West, Fremde und Einheimische, Arme und Reiche, Linke und Rechte. Wer oder was könnte helfen?

Eingefallen ist mir dann - wen mag es überraschen - Jesus. Übrigens auch Handwerker. Zimmermann. Wie ist er mit Spaltungen umgegangen?

Jesus schaffte das, was der "Spalt-Geist" so gar nicht mag: Er setzte sich nämlich auch mit Steuereintreibern, mit Andersgläubigen und Frauen und Fremden an einen Tisch. In so einer bunten Tischgemeinschaft können Vorurteile purzeln.

Die Bibel schildert Jesus als kontaktfreudig, ohne Menschenfurcht. Er suchte das Gespräch auch mit Außenseitern. Verstand es, im eigenen Jüngerkreis die unterschiedlichsten Leute zusammenzubringen.

Jesus provozierte auch gern. Seine Goldene Regel "Was Ihr von anderen erwartet, das tut auch Ihr ihnen" könnte uns heute doch auch helfen. Wenn Du Hilfe erwartest, dann fang an, anderen zu helfen. Oder: Wenn Du nicht belogen werden willst, dann lüge nicht. Selbst tun, was man von anderen erwartet. Das kann die Spirale der Eskalation durchbrechen.

Krawall  - konnte Jesus aber auch. Im Tempel warf er die Tische der Händler um, denn aus dem Gebetshaus war eine Markthalle geworden. Er nannte Heuchler beim Namen. Dabei ist er auch an seine Grenzen gekommen. Verreckte am Kreuz. Gescheitert? Also doch kein gutes Beispiel für die Überwindung von Spaltungen?

Doch - wenn ich auf das größere Ganze sehe. Auch Auferstehung mitdenke. Jesus hat den Spalt zwischen Tod und Leben überwunden. Für mich ist er das beste Beispiel dafür, wie Streitbarkeit um der Liebe willen aussehen kann. Liebe zu allen Menschen. Weil alle das Recht haben, ernst genommen und respektvoll behandelt zu werden.

In diesem Sinne einen gesegneten Sonntag und eine gute Nacht.

Sendeort und Mitwirkende

Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB)

Redaktion: Ulrike Bieritz

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