Theologische Fakultät Leipzig
Warum Jesus sterben musste
Liveübertragung aus dem Paulinum in Leipzig
18.04.2025 10:05

Macht und Gewalt. Sterben und Sieg über den Tod. Darum geht es in dem evangelischen Gottesdienst am Karfreitag, 18. April 2025, aus dem Paulinum in Leipzig. Der Deutschlandfunk überträgt live von 10.05 bis 11.00 Uhr. 

Die Predigt hält Andreas Schüle, Professor für Altes Testament. Der Gottesdienst wird gestaltet mit Passionsmusik von Heinrich Schütz und Volker Bräutigam sowie Orgelwerken von Johann Sebastian Bach. Es singt die Leipziger Universitätskantorei unter Leitung von Maria Küstner. Universitätsorganist Daniel Beilschmidt spielt die beiden Orgeln der Universitätskirche.

Die Kreuzigung Jesu, wie sie im Johannesevangelium erzählt wird, ist die Hinrichtung von einem, der gefährlich geworden ist, weil ihn viele seiner Anhänger für einen König hielten. "König der Juden" ließ der römische Statthalter Pontius Pilatus auf das Kreuz schreiben. Die damaligen politischen und religiösen Autoritäten sahen ihre Macht gefährdet. Sie wollten Jesus weghaben.

Das Johannesevangelium erzählt auch: Mit diesem Jesus ist Gottes Glanz in die Welt gekommen. Jesus hat das Leben von Frauen und Männern, Alten und Jungen, religiösen und nicht-religiösen Menschen verändert. Das lässt sich nicht aufhalten oder umkehren. Jesus sagt am Kreuz: "Es ist vollbracht!" Und stirbt. Die Kreuzigung war als brutale Demonstration weltlicher Macht gemeint. Sie wird zum stillen Triumph eines Reichs, das nicht von dieser Welt ist.

Das Paulinum ist zugleich Aula und Universitätskirche der Universität Leipzig. Es wurde 2017 wieder eingeweiht und steht an der Stelle der Universitätskirche St. Pauli aus dem Mittelalter, die die SED-Führung 1968 sprengen ließ.

Lieder des Gottesdienstes:
1. EG 85, Strophen 1-4: O Haupt voll Blut und Wunden
2. EG 85, Strophen 9-10: O Haupt voll Blut und Wunden
3. EG 89, Strophen 1-3: Herr Jesu, deine Angst und Pein

 

Predigt nachlesen:

I

Liebe Gemeinde,

am Karfreitag schaut die Christenheit auf das Kreuz Jesu. In jeder Kirche ist es zu sehen, manche Menschen haben eines zuhause und manche tragen es als Accessoire um den Hals. Seltsam eigentlich, denn zur Zeit Jesu war das Kreuz etwas Schändliches – ein Instrument von Folter und Tod. Es hat lange gedauert, bis christliche Gemeinden bereit waren, das Kreuz öffentlich zu zeigen und darin nicht nur etwas Furchtbares, sondern auch etwas Heilvolles zu erkennen. Die erste bekannte Darstellung der Kreuzigung stammt aus dem Jahr 432 – also recht genau vierhundert Jahre nach Jesu Tod auf Golgatha. Sie findet sich auf dem Portal der Kirche Santa Sabina in Rom. Und man muss sehr genau hinschauen. Auf den ersten Blick erkennt man einen Christus, der die Hände zum Segen erhoben hat. Und erst auf den zweiten Blick wird klar, dass dieser Christus am Kreuz hängt.

Das Johannesevangelium, aus dem wir gerade gehört haben, erzählt die Passionsgeschichte auf eine ganz eigene Art und Weise: Die Kreuzigung Jesu ist die Hinrichtung von einem, der gefährlich geworden war, weil ihn manche für einen König hielten. "König der Juden" lässt der römische Stadthalter Pontius Pilatus auf das Kreuz schreiben – und zwar gleich in drei Sprachen, damit es auch ganz bestimmt alle verstehen können: auf Hebräisch, Griechisch und Lateinisch. In Rom gibt es nur einen König, einen Kaiser, und er teilt seine Macht nicht. Rom statuiert ein Exempel: Wer den Anschein erweckt, sich Rom nicht zu beugen, der endet so – nackt, mit einer Dornenkrone auf dem Kopf und einer Inschrift darüber.  

Aber kaum ist dieses Kreuz aufgerichtet, da kommen die religiösen Obrigkeiten der Stadt und empören sich über die Inschrift. Dies sei ja auch gar nicht der König der Juden, das habe dieser Jesus nur von sich behauptet. Und das solle Pilatus doch bitte richtigstellen. Wortklauberei am Kreuz, Geschachere um die Deutungshoheit über diese Exekution. Die einen denunzieren Jesus als Querulant, die anderen als Hochstapler. Dass man ihn aus dem Weg schaffen will, dass dieser Jesus sterben muss, darüber ist man sich einig. Aber jeder will aus dieser Exekution noch seinen Vorteil schlagen: Alles, was Pilatus tut und sagt, hat nur eine Botschaft: "Rome first" oder "Make Rome great again", und dafür kann er kaltlächelnd über Leichen gehen. Auch die Jerusalemer Obrigkeit handelt im wohlverstandenen Eigeninteresse: 

Natürlich hoffte man insgeheim auf einen starken Mann, einen "König der Juden", der die verhassten Römer aus dem Land jagen würde. Aber mit diesem Jesus, einem Verlierer, wollte man sich nicht solidarisieren und mit ihm in den Abgrund gerissen werden.

Machtgeilheit auf der einen, Verlogenheit auf der anderen Seite prallen aufeinander und reißen sich gegenseitig die Maske vom Gesicht. In dem Prozess, der Jesus gemacht wird, sprechen sich die Ankläger selbst das Urteil, auch wenn sie dabei mit heiler Haut davonkommen.   

Das alles klingt beklemmend gegenwärtig. So wie Johannes die Passionsgeschichte erzählt, ist sie auch eine Geschichte unserer Zeit – eine Zeit der unverhohlenen Machtansprüche, der Friedensofferten mit Falltür und doppeltem Boden. Wir scheinen in Zeiten zu leben, in denen sich machtversessene Männer die Welt untereinander aufteilen. Und dafür verlieren Menschen ohne Lobby und Einfluss ihr Leben. Auf dem Boden der Realität, da wo die Kreuze stehen, macht es dann keinen Unterschied mehr, wer Ukrainer und wer Russe ist, wer Araber oder wer Israeli. Zwischen den Fronten, zwischen den Ideologien, zwischen Kalkül und Strategie kann jeder sein Leben lassen. Und vielleicht sind wir in diesem Jahr am Karfreitag für diese Botschaft empfänglicher als sonst, weil wir ahnen: Auch wir hier in Deutschland sind nicht mehr nur Zuschauer dessen, was da draußen geschieht. Wir könnten selbst zwischen die Fronten geraten. 

Die Passionsgeschichte, die das Johannesevangelium erzählt, legt den Finger auf eine zeitlos offene Wunde. Was Christus ans Kreuz gebracht hat, war kein dummer Zufall und keine Ausnahme. Es geschieht immer wieder von Neuem – damals, heute, morgen.

II

Auf einmal stehen wir unter dem Kreuz, liebe Gemeinde, liebe Hörerinnen und Hörer. Pilatus und die Jerusalemer Obrigkeiten haben die Bühne des Geschehens schon lange verlassen. Schaurige Details über die Kreuzigung werden uns erspart. Wir stehen unter dem Kreuz zusammen mit den Soldaten, die Jesu Kleidung unter sich verschachern, mit drei Frauen und einem Jünger. Nur noch vier Menschen sind da, die es bei dem Gekreuzigten aushalten. Es ist eine stille, traurige Szene vom Ende eines Lebens. Aber der, der da stirbt, hadert nicht mit seinem Schicksal, sondern hat es angenommen. Dieser Jesus tut, was jeder vor seinem Tod tut: Er regelt seine Verhältnisse und stiftet Verbindungen über den Tod hinaus. Seiner Mutter gibt er seinen Lieblingsjünger zum Sohn, damit beide in Zukunft nicht allein sind. Dann verlangt er nach etwas zu trinken, nicht etwa, weil er Durst hat, sondern "damit die Schrift erfüllt wird", die das vorausgesagt hatte. Auch das muss also noch getan werden. Wo man sich blanken Horror hätte vorstellen können, arbeitet dieser Jesus das Protokoll seines Todes ab. Und genau das ist die Pointe: Dieser Jesus gibt an keiner Stelle seine Souveränität und seine Würde preis. Die Mächte der Welt können ihn umbringen, aber sie können ihn nicht vernichten. Dieser Jesus lässt keinen Zweifel daran, dass selbst auf dem Kreuzeshügel nicht die Mächte der Welt das letzte Wort haben, sondern er selbst. Und dann spricht er seine letzten Worte, die das Siegel unter sein Leben und sein Sterben setzen: "Es ist vollbracht." 

Aber was heißt das? Was ist vollbracht? Vollbracht ist, dass mit diesem Jesus Gottes Glanz in die Welt gekommen ist und das Leben von Frauen und Männern, Alten und Jungen, religiösen und nicht-religiösen Menschen bleibend verändert hat. Vollbracht ist, dass Menschen anfangen zu begreifen, dass unter dem Schutt von Gewalt und Tod Gottes Liebe in die Welt gekommen ist. Vollbracht ist, dass Menschen das Evangelium der Liebe Gottes empfangen haben und bis heute davon erzählen und davon leben. Das alles lässt sich nicht aufhalten, lässt sich nicht mehr umkehren. Die Kreuzigung war als schauerliche Demonstration weltlicher Macht gemeint. Nun wird sie zum stillen Triumph eines Reichs, das nicht von dieser Welt ist: "Es ist vollbracht!" 

Mit diesen letzten Worten gibt Jesus seinem Kreuz eine neue Überschrift: Nicht das zynisch gemeinte "König der Juden" hat die Deutungshoheit über das Geschehen, sondern eben diese drei Worte, die keinen Zweifel daran lassen, dass selbst hier – am Kreuz, am Tiefpunkt der Unmenschlichkeit – Gottes Liebe ihren Anspruch auf die Welt legt. 

Es hat lange gedauert, liebe Gemeinde, bis christliche Gemeinden damit begannen, das Kreuz in ihren Kirchen zu zeigen. Das kostete offenbar Überwindung. Und es brauchte Zeit, bis man verstehen und verinnerlichen konnte, was das Johannesevangelium sagen will: Das Kreuz ist nicht nur die Erinnerung an einen gewaltsamen Tod. Nein, das Kreuz ist auch das Zeichen für den Protest der Liebe Gottes gegen das, was Menschen demütigt und umbringt – damals und heute. Am Kreuz haftet die Zusage: Gott lässt sich – trotz allem – nicht von der Lieblosigkeit der Welt das letzte Wort nehmen. Das ist nicht leicht zu glauben, wo doch jeden Tag irgendwo auf der Welt Menschen umkommen, so wie einst Jesus. Dazu braucht es kein Golgatha. Es gibt viele Arten und Weisen, Menschen zu kreuzigen. Aber gerade darum kommt es darauf an, nicht gleichgültig oder gar zynisch zu werden. Entscheidend ist, sich selbst und die Welt nicht verloren zu geben, sondern an dem festzuhalten, was Gottes Mensch gewordene Liebe in die Kreuze dieser Welt meißelt: "Es ist vollbracht!"

Amen. 

Es gilt das gesprochene Wort.

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Mira Körlin
Rundfunkbeauftragte der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens

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