St. Egidien in Nürnberg
Das Wort ward Fleisch!
Gottesdienst aus St. Egidien in Nürnberg
26.12.2015 09:05

Predigt

Die Liebe Gottes und die Gnade unsern Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen

 

Am Anfang: Tohu wa bohu, Irrsal und Wirrsal. Wir haben es gerade gehört: Chaos, komplette Unordnung, alle Gesetze außer Kraft, die Leben möglich machen. Das ist das Bild, das die Bibel im Buch Genesis mit ihren ersten Zeilen über den Anfang der Welt vor unseren inneren Augen provoziert. Chaos!

Nur am Anfang? Wie lässt sich das Durcheinander bändigen? Woher kommt Ordnung? Gibt es einen Plan? Geht´s bei diesen Fragen nur um den Ursprung der Welt?

 

„Im Anfang war das Wort …“ Wir haben es gerade gehört. Der Evangelist Johannes spielt im Prolog seines Evangeliums mit den Versen des Schöpfungsliedes auf den ersten Seiten der Bibel. Das ist selbst ein Gedicht. Poetisch klar geformt seine Antwort auf das Chaos. Und Orlando di Lasso übersetzt diesen Prolog vom Anfang in herrliche, vielstimmige, aber klar strukturierte Musik. Für den Evangelisten Johannes ist klar: Es geht um seine eigene Welt! Und die drängenden Herausforderungen dieses Winters zeigen, die Fragen haben ihre brennende Aktualität immer noch nicht verloren: es geht um die Welt, in der wir leben.

Aber warum greift Johannes eigentlich so weit aus? Es ist doch Weihnachten! Da muss man doch nicht bei Adam und Eva anfangen, oder sogar noch früher? Es weiß doch immer noch fast jedes Kind, was Weihnachten ist. Spätestens heute, am dritten Tag des Festes! Ein Baby wird geboren, unter widrigen Umständen. Und das Staunen über das neue Leben und die Freude steckt an, bis sogar der Himmel singt!

Das ist doch alles schon erzählt. Der Evangelistenkollege Lukas hat daraus eine wunderbare Geschichte gemacht, die durch die Jahrtausende gern gehört wird und der Sehnsucht vieler Menschen Stoff zum Träumen gibt.

Johannes ist das aber offenbar nicht genug. Er will es genau wissen und darum geht er ganz an den Anfang zurück. Hat diese Weihnachtsgeschichte etwas mit unserer Welt zu tun? Das ist seine Frage. Und er ist überzeugt, es geht dabei um mehr als ein paar Tage Waffenstillstand an den Fronten in dieser Welt, der mühsam aufrecht erhalten wird.

Für ihn steckt da mehr drin. Er will uns zeigen: Die Weihnachtsgeschichte führt direkt hinein in den wahren Plan für diese Welt. Sie öffnet den Weg zum Prinzip der Schöpfung.

 

„Im Anfang war das Wort“ – Das ist der erste Satz seiner Antwort. Gut, schön formuliert, aber was ist eigentlich die Frage, auf die dieser Satz die Antwort sein soll?

Die Frage wächst aus dem Erleben, dass diese Welt nicht so ist, wie sie sein sollte. Die Realität und die Ahnung, wie es sein könnte, klaffen auseinander. Und der Riss gibt den Blick frei auf das lebensfeindliche Chaos, die Unordnung, das Tohu wa Bohu: Bedrohung!

Wie bekomme ich wieder sicheren Grund, wenn das Fundament brüchig wird? Was hält denn die Welt im Inneren zusammen? Die offizielle Haltung der damals regierenden Weltmacht Rom war: Seit dem Chaos des Anfangs geht es stetig bergauf: Fortschritt – und unsere Generation ist endlich am Gipfel, wir sind der Gipfel! Also: Bleib ruhig und vertrau dich der Ordnungsmacht an. Die Pax Romana wird das schon richten.

Heute wird das so formuliert: Geschichte als ewiger Fortschritt. Chaos, das geordnet wird zur Welt, Millionen Jahre dauernde Prozesse auf dem Weg zu immer höherer Entwicklung und Organisation. Wir nennen es: evolutionärer Fortschritt und meinen: Fortschritt ist ein Naturgesetz. Und das gibt Sicherheit. Auch wenn´s mal anders läuft, im Prinzip geht es bergauf.

Bis vor kurzem hatte das bei uns Konjunktur. Aber langsam wird das Gegenmodell wieder plausibler: Krisen am Rand Europas; Sprengstoff und Schüsse mitten unter uns in Europa; militärische Gewalt von deutschen Systemen aus gesteuert; Opferbilder aus Zeitung und Fernsehen verwandeln sich in reale Menschen mit realen Schicksalen und suchen Zuflucht bei uns; Grenzen, die wir längst für abgeschafft hielten, werden wieder sichtbar: Grenzen der Solidarität, der Machbarkeit, auch Grenzen unser Kräfte bei allem Willen zum Willkommen. Anderes ist darüber fast schon vergessen, was gestern noch zu Sondersendungen geführt hat: Eurokrise, Klimakatastrophe, …

Der optimistische Glaube an den immerwährenden Fortschritt trägt immer weniger: Fortschritt ist doch kein Naturgesetz! Also doch: pessimistische Verfallsgeschichte! Ordnung die langsam, aber sicher zerfällt? Unaufhaltsam bergab? Ist das eine Antwort auf Angst und Sorgen, die beim Leben hilft?

Nein, sagt Johannes. Nein. Das sind falsche Alternativen: systemimmanenter, sozusagen automatischer Fortschritt in immer höhere Entwicklungsstufen: das ist ihm zu unrealistisch! Und Verfall: von Anfang an geht´s bergab, das passt genauso wenig zu dem, wie er die Welt sieht – aus der Perspektive für die ihm Jesus, der Christus, die Augen geöffnet hat.

Ist es dann doch so, wie es schon damals manche glaubten und es heute Grundlage von Blockbustern ist? Chaos und Ordnung liegen im Streit miteinander bis an Ende der: Tod und Leben, Gut und Böse fechten einen ewig unentschiedenem Kampf. Oder, mit der Terminologie der Star Wars Macher: Die dunkle und die helle Seite der Macht in Duell, das die Festen des Weltraums erschüttert.

Ein drittes Mal: Nein. Johannes ist weder Optimist, noch Pessimist. Er ist Realist, wie alle seine biblischen Schriftstellerkollegen. Sein Glaube und seine Lebenserfahrungen sagen ihm: es wäre wirklich so, dass alle einmal gewonnene Gestalt zerfallen würde, wenn nicht … wenn der Welt nicht permanent neue Kraft und Energie zugeführt würde.

Von alleine bleibt nichts heil und gut. Aber es kann gut und heil bleiben oder wieder werden, weil die Welt in doppelter Weise nicht sich selber überlassen bleibt, weder von ihrem Schöpfer noch von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die er gewinnen will.

Johannes gewinnt diese Hoffnung aus der Begegnung mit Jesus, dem Christus, von dem er in seinem Evangelium erzählt. Aus dieser Hoffnung heraus liest er dann das Schöpfungslied vom Anfang der Bibel: In drei Stellen konzentriert sich seine im Vertrauen auf Jesus gefundene Hoffnung. Es sind die Schlüsselmomente des Prologs.

 

Zuerst ein Blick gleich auf den ersten Satz: „Im Anfang war das Wort.“ Es geht nicht um ein Machtwort, das den Anfang setzt wie ein „Semsam Öffne Dich“ und aus dem sich dann alles automatisch weiterentwickelt. Es ist kein Befehl, kein Apell, keine feierliche Beschwörung, kein geheimes Codewort, kein magisches Ritual, überhaupt kein Machtwort eines Imperators. Es sind Verben, ermächtigende Verben. Verben, die eine Erwartung ausdrücken, eine Möglichkeit freisetzen, Freiheit ermöglichen: Johannes liest (und wir mit ihm): „Und Gott sprach: Es werde …, es wimmle …, es bringe hervor … “

Mit Johannes die Schöpfung lesen, heißt das Prinzip der Schöpfung entdecken: die in der Schöpfung und in den Geschöpfen wohnenden Lebenskräfte ins Freie locken, freisetzen, aufschließen … Das Chaos wird nicht besiegt, überwunden, niedergedrückt und aus den Resten dann etwas Neues gebacken; das Tohu wa Bohu wird gestaltet, aus seiner ungeformten Energie und Masse wird geformte Schöpfung. So auch die Erschaffung des Menschen:

„Es werde …“ ein Ruf, ein Lockruf: „Werde, der du sein kannst“.

Dieses Schlüsselwort ist der Welt eingeprägt als ein Schöpfungsprinzip, das auf Aktivierung wartet. „Alle Dinge sind durch dieses Wort gemacht und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist. In diesem Wort ist das Leben.“

Dieses Wort kommt ohne Machtinsignien daher, ohne Trompetenbegleitung und doch ist es wirkmächtig. Es schafft Wirklichkeit. Das Chaos verliert seine lähmende Macht. Es wird nicht vernichtet, sondern aus Tohu wa Bohu wird eine Welt geformt. Am Anfang war dieses Wort des Schöpfers und die Welt erwachte aus ihrer eisigen Lebensfeindlichkeit. Was für ein schöneres Bild könnte es dafür geben, als das Wunder einer Geburt, egal welche Krippe zur ersten Wiege wird.

 

Der zweite Schlüsselmoment des Textes: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“.

Jetzt wird es ernst für das Wort! Es verlässt seinen Schutzraum, die Welt der abstrakten Idee und Begriffe. Es verzichtet auf die Unangreifbarkeit des Ideals. Es wird konkret, wird Teil der Welt der Sinne, wird angreifbar im Wortsinn! Es bekommt einen Körper, sagt Johannes, einen Leib. In diese Metapher fasst der Evangelist das Mysterium Gottes:

Ein Wort, gesprochen, ist frei zugänglich, kann nicht mehr hundertprozentig kontrolliert werden, macht sich selbständig, verpufft oder wird wirkmächtig. Du hast es nicht alleine in der Hand. Das wissen wir alle: Einmal ausgesprochen, ist es in der Welt, bekommt es seine eigene Geschichte, trägt vielleicht meine Hoffnungen und Erwartungen mit, verletzt oder heilt.

Ob es verpufft oder wirkmächtig wird, hängt nicht allein von meiner Rede- und Argumentierkunst ab, sondern davon, ob es ankommt, ob es geglaubt wird. Ob die, die es hören, etwas damit anfangen können, es ernst nehmen, wertschätzen, vielleicht auch weiter verbreiten. Verzicht auf die Macht, sich durchzusetzen. Ein Risiko. Ja. Aber eines, das für den Gott, den uns Jesus vor Augen führt, charakteristisch ist: ganz darauf setzen, dass ihm geglaubt wird, dass seine Liebeswerbung erhört wird.

Das Wort ward Fleisch, kam zur Welt, wurde Mensch – aber nicht irgendein beliebiger, sondern der von Anfang an von Gott gemeinte Mensch.

Das Wort gewinnt Gestalt als Jesus von Nazareth, den seine Jünger in ihrer Sprache als den Messias, den Gesalbten Gottes erkannten; den der auf seine Macht verzichtet, Gott gleich zu sein, und konsequent Mensch bleibt. Auch als es dann eng wird, macht er sich nicht aus dem Staub, wie es damals von griechischen Göttern immer wieder erzählt wurde: Bevor es an Leib und Leben ging, traten sie ja gerne den Rückzug in den sicheren Olymp an.

Der Mensch Jesus von Nazareth: an dem, was er von Gott wusste und erzählte und an dem, wie er lebte, Leben neu machte, aus ausweglosen Situationen Menschen zurückholte in die Gesellschaft, seelische und körperliche Wunden heilte, Türen in die Zukunft öffnete, aus all dem – so Johannes – kann man das eine Wort hören, dass schon im Anfang war und in allem, was ist, und das darauf wartet, geweckt zu werden.

Es ist ein Wort, das zum Leben befreit. In den Augen des Evangelisten Johannes ist das eine einzige große Werbung zu einer paradoxen Entdeckung: gerade in der Hingabe Jesu erweist sich die Souveränität Gottes. Sein Lockruf in die Freiheit wurde der Welt als gestaltendes Prinzip eingeprägt – schon im Anfang.

 

Und hier kommt der dritten Schlüsselmoment des Textes ins Spiel:

Gott macht ernst mit seinem Angebot. Die zweite Form, in der Gott seine Welt nicht alleine lässt: Er schafft den Menschen. Das liest Johannes in seiner Bibel: Gott schafft den Menschen und macht ihn zum Mitarbeiter. Der Ruf in die Freiheit ist zugleich ein Ruf in die Verantwortung.

 

Die Mitte des Johannesprologs wird durch einen Satz markiert, der wie aus Resignation geboren scheint: „Er war in der Welt. Die Welt ist durch ihn gemacht, aber die Welt erkannte ihn nicht.“ (V10)

Also doch: Gott bleibt unerkannt in seiner Zuneigung? Ja. Aber nicht von allen, denn, so schreibt Johannes weiter: „Wieviele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben“, denen, die ihm glauben.

Johannes hat es erlebt, und er ist so voll davon, dass er ein Evangelium schreiben muss: Gottes Werben bleibt nicht unerhört und das hat Folgen. Wer auf dieses eine Wort und damit auf Gott vertrauen kann, der wird mit Macht ausgestattet. Das ist kein leeres Wort, sondern ein Versprechen, eine Verheißung. Durch dieses Vertrauen können Angst, Furcht und Sorgen ihre lähmende Macht verlieren. Das Evangelium erzählt von diesen Erfahrungen.

Und: Alle, die sich auf Gott einlassen, die sich von ihm befreien lassen, werden mit einer neuen Macht ausgestattet, mit der Vollmacht, Verantwortung zu übernehmen. Johannes ruft uns im Auftrag Gottes in die Mitverantwortung für die Schöpfung, sie zu regieren, sie zu bebauen und sie zu bewahren.

Das heißt, wir sind eingeladen im Regierungsprogramm Gottes mit zu arbeiten. Das hieße dann aber auch, nicht mitzumachen bei denen, die radikal einfache Lösungen anbieten oder in blindem Aktivismus den Blick verlieren für das, was Menschen wirklich brauchen. Das hieße ebenso wenig, der Resignation die Herrschaft zu überlassen und die Sorgen zum Programm erheben.

Mitarbeit im Regierungsprogramm Gottes heißt, etwas zu riskieren: auf Menschen zu zu gehen, ohne vorher zu wissen, was daraus wird und: es für möglich halten, dass aus Tohu wa Bohu etwas Sinnvolles werden kann. Gott vertraut uns die Vollmacht der Freiheit an.

 

Das Wort ward Fleisch. Gott kam zur Welt, weil er uns nicht allein lassen will, obwohl er schon an der Krippe weiß, was ihn das kosten wird. Trotzdem geschah das erste Weihnachten und seitdem ist er unzählige Male zur Welt gekommen, mit allen Konsequenzen.

Wunderbarerweise sind wir´s ihm wert. Glauben wir ihm. Amen.