Franziska ist Mitte 20 und hat wunderschöne lange Haare. Sie achtet auf sich und ist hübsch gekleidet. Eine fröhliche junge Frau mit Ausstrahlung. Die meisten Menschen sehen an ihr aber zuerst die Narbe über ihrem Mund. Eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte, "Hasenscharte" wie man so sagt. Franziska hat sie operieren lassen, aber trotzdem stört sie für viele das Bild. So mancher, erzählt sie mir, kann ihr nicht richtig ins Gesicht schauen.
Ich treffe Franziska auf einer Internettagung. Eine Location mitten in Berlin, hunderte von Bloggern und Internet-Aktivisten. Programmierer und Geschäftsleute. Franziska fällt da gar nicht auf, denn – so scheint es mir – viele von denen, die da unterwegs sind, haben eine körperliche Besonderheit. Manche auch eine Körperbehinderung. Rollstuhlfahrer und Sehbehinderte. Ein buntes Miteinander.
Franziska scheint meine Gedanken zu ahnen, denn sie fragt mich: "Gell, die Leute hier sehen anders aus?" "Ja" muss ich verblüfft zugeben. "Hat das einen Grund". Franziska lächelt: "Im Internet kannst du dich anders präsentieren. Da zählt nicht sofort dein Aussehen sondern mehr, was du schreibst und sagst."
Ich bin verblüfft. So hatte ich das noch nie gesehen. Auch jetzt scheint Franziska meine Gedanken lesen zu können, denn sie sagt: "Geht übrigens nicht nur mir so. Menschen mit Behinderung tun sich leichter, übers Netz zu kommunizieren." Dann erzählt sie mir von barrierefreien Seiten, von Lorm-Handschuhen, mit denen taubblinde Menschen Emails lesen und beantworten können und in Chats unterwegs sind. Sie zeigt mir ihr Profil bei Twitter und in welchen Foren sie unterwegs ist. Was sie arbeitet. "Mit meinem Gesicht wäre das in der Kohlenstoffwelt schwerer" fügt sie hinzu und spielt dabei auf das an, was viele als die einzige Realität ansehen.
Das Gespräch mit Franziska hat mich seither nicht losgelassen. Wenn ich mit Menschen diskutiere, die von Internet und Social Media nichts halten, erzähle ich ihr Beispiel. Wenn ich entdecke, dass die Vorlesefunktion oder die Blindenschrift an einem Automaten von Vandalen zerstört ist, melde ich das beim zuständigen Service. Und ich pflege meine Internetkontakte sorgfältiger. Gerade mit denen aus meinem Freundeskreis, die ein Handicap haben. So schnell wie meine hörbehinderte Freundin werde ich wahrscheinlich nie schreiben können.
Auch mein Sehen hat Franziska verändert. Denn – ja ich gebe es zu – ich habe bisher Menschen stark nach ihrem Äußerlichen beurteilt. Habe mich bestimmt oft zuerst mit attraktiven Menschen unterhalten und nicht mit denen, die auf mich irgendwie entstellt wirkten. Im Rückblick schäme ich mich dafür.
Am stärksten aber wurde mir bewusst: jeder Mensch hat ein Recht darauf, sich so zu präsentieren, wie er es will und kann. Ja, besonders mit den Seiten, die er oder sie gerne zeigt. In christlichen Kreisen ist das manchmal verpönt. Denn da heißt es dann, wir sollten uns so zeigen, wie wir sind. Wie uns Gott geschaffen hat. Weil er ja jeden Menschen liebt. Wie Franziska.
Da ist was dran. Wieso aber nicht auch anerkennen, dass Gott uns darüber hinaus geschaffen hat mit Möglichkeiten, unser Wirken auf andere Menschen zu steuern. Über Twitter und Facebook zu plaudern, wenn das leichter geht. Bearbeitete Fotos zu zeigen, um eine Botschaft zu übermitteln und dabei nicht an Äußerlichem zu scheitern. "Der Mensch sieht, was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an" heißt es in der Bibel. Das bedeutet leider auch, dass es uns Menschen schwerfällt, an etwas Störendem sozusagen "vorbeizusehen". Wenn Medien diesen Sehfehler ausgleichen können, finde ich das gut. Danke dir, Franziska!