Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer.
Die Türen öffnen sich lautlos, als wir uns ihnen nähern. Und lautlos gehen sie hinter uns auch wieder zu. Der Flughafen scheint wie leergefegt. Es ist früh am Morgen. 4 Uhr. Ich erinnere mich. Ich war 18. Eine Woche zuvor noch Abiball gefeiert. Und gleich hebt der Flieger ab. Richtung nach New York. Denn dort werde ich bei der Seemannsmission mitarbeiten. Wir sind im Dunkeln zum Flughafen gefahren. Das Rollen meines Koffers hallt und unsere Schritte. Meine Mutter, mein Vater, ich. Und dann - stehen wir da. Dort an der Schleuse. An der Stelle, wo nur noch ich allein weiter gehen kann.
Und ich ging weiter, damals. Ins Neue, ins Ungewisse, in den Sommer von New York. Und als es Herbst wurde, fielen die Blätter von den Bäumen. Und die Blätter fielen, fielen Jahr um Jahr. Und nun seh‘ ich sie dort fallen wo ich heute wohne, mit Mann, Kindern und Hund. „Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten...“ Es ist November: Die Äste ragen kahl in den Himmel. Die hellen Abende sind vorbei. Das Gold der Bäume liegt auf den Straßen, nass und platt gefahren. Und Novembertage tragen Namen wie „Allerheiligen“ und „Volkstrauertag“, „Buß- und Bettag“ und „Totensonntag“. In jedem Jahr gibt es diese Zeit: die düstere Kulisse der Natur für die Zeit des Gedenkens. Menschen denken an Menschen und stehen an Denkmälern. Und vor den Blumenläden Grabgestecke, grün und rot.
Und ich gehe weiter. Und stehe, wo ich nicht stehen will. - Ich kann es nicht glauben. Auch nach fast fünf Jahren nicht. - Ich stehe am Grab meines Vaters. Meine Großmutter liegt dort auch und mein Großvater, meine Urgroßmutter und mein Urgroßvater. Und über dem Grab meiner Familie rauscht es. Der Friedhof liegt an einem Hang. Viele Bäume sind dort. Manchmal höre ich die Trompetenklänge von der Beerdigung meines Vaters, als hingen sie noch immer in der Luft. Ich vermisse ihn. Denke an die tiefe Hoffnung, die er und ich teilten. Und ich bete dort. „Gott. Du Tröster, gib mir Kraft. Und führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.“
Damals, am Flughafen Bremen, morgens um 4 Uhr, damals als ich 18 war. Da standen wir. Dort, wo ich nur allein weitergehen konnte. Wir umarmten uns. Ein Mal. Noch mal. Und ich ging los. Einen langen Korridor entlang konnten wir uns noch sehen, Scheiben zwischen uns. Und wir winkten einander. Meine Mutter und ich weinten. Und Papas Gesicht war voll Liebe, tapfer gegen die Tränen des Abschieds. Noch einmal Winken durch die Scheiben.
Und nun liegt auf seinem Grab das Laub, golden und nass.
„Die Blätter fallen, fallen wie von weit. Wir alle fallen. Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.“
Ich hole Luft. Die Luft wird Nebel vor meinem Gesicht.
„Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.“
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Ob an den Gräbern oder andernorts in allem, was sich nach November anfühlt - nicht vergessen: Wir sind gehalten! Da ist Liebe und da ist Zukunft. In allem Abschied und Loslassen-Müssen begleitet Gott das Weitergehen.
Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht!
Norddeutscher Rundfunk
Redaktion: Eberhard Kügler (NDR)