Sendung zum Nachlesen
Wenn man unsere Städte von oben betrachtet, im Zeitraffer, dann erscheinen sie beinahe wie lebendige Wesen. Große Tiere mit Blutbahnen und Adern, ein Geflecht, das sich über die Erde spannt. Frühmorgens erwacht die Stadt, Bewegung kommt in die Straßen und Tausende von Menschen strömen auf den Verkehrsadern in sie hinein. Abends spült dann der Verkehr die Menschen wieder aus der Stadt und die, die in der Stadt leben, gehen ins Bett und löschen die Lichter. Tag für Tag. Ein Ein- und Ausatmen und steter Pulsschlag.
Seit meine Familie und ich in der Nähe einer Autobahn wohnen, können wir diesen Pulsschlag hören. Um vier, fünf Uhr beginnt das Rauschen des Verkehrs, wird lauter und steigt bis etwa acht Uhr an. Hält dann den Tag über an, verändert seinen Ton, wenn die Autos der Pendler abgelöst werden von den Lastwagen, die vorbei fahren. Manchmal wird es plötzlich leise. Bestenfalls ist dann Stau. Doch wenn dann wieder die Rettungssirenen zu hören sind, hoffen wir, dass im täglichen Verkehr nichts Schlimmes passiert ist. Ein Tunnel in der Nähe ist Unfallschwerpunkt. Bei einem Lebewesen würde man von Verstopfung oder Infarkt sprechen.
Manchmal frage ich mich, ob Gott uns Menschen versteht, wenn er vom Himmel auf uns herabsieht. Was er sagt zu den vielen Autos, in denen meist nur einer sitzt. Ob er uns nicht daran erinnern müsste, wieviel Energie der tägliche Berufsverkehr verschlingt. Und warum wir so häufig zur Arbeit an Orte fahren, an denen wir dann alleine in Zimmern sitzen, telefonieren und am Computer Dokumente hin und her schieben. Kannst du das nicht auch zu Hause erledigen?
Je länger meine Familie und ich nun selbst Teil dieses Lebens sind, desto grenzwertiger wird für mich das Ganze. Denn immer häufiger kommt es zum Verkehrsinfarkt, steht alles still. Auf der Autobahn, im Nahverkehr. Und wie oft muss ich dann bei mir im Büro anrufen und ankündigen, dass ich heute von zu Hause arbeite. Telefonisch gut erreichbar bin und alle Anfragen per Mail schnell beantworte. Der Effekt ist meist doppelt. Denn zum einen habe ich dann plötzlich mehr Zeit, weil ich nirgendwo hin fahren muss. Und ich kann mir je nach Laune im Haus einen Platz suchen, an dem ich gut arbeiten kann. Nicht immer ist das dann der Schreibtisch.
Des Vertrauens bin ich mir bewusst, das meine Vorgesetzten an solchen Heimarbeitstagen in mich haben. Dass ich meine Arbeit gut erledigen werde, auch wenn ich nicht leicht kontrollierbar im Büro sitze. Und es steigt sogar die Vorfreude aufs Büro, denn da treffe ich wieder meine Kolleginnen und Kollegen, habe den direkten Austausch, der von zu Hause aus kaum möglich ist.
Ich glaube, es braucht immer wieder das sorgfältige Draufschauen, wie wir Arbeit und Leben organisieren. Ob der Puls unserer Städte noch gesund ist. Mich hat die anfangs erzwungene Heimarbeit gelehrt, dass das tägliche "jeder fährt alleine zur Arbeit und abends wieder heim" an seinem Ende angekommen ist. Es wäre besser und gesünder für unsere Städte und das Leben in Ihnen, nur das durch Mobilität umzusetzen, was körperliche Anwesenheit und Arbeit vor Ort erfordert. Dann auch viel bewusster gemeinsame Präsenz an einem Ort zu nutzen, um zu tun, was Gemeinschaft und direktes Miteinander nötig macht. Wenn Arbeitnehmer die Freiheit haben zu entscheiden, wo und wie sie ihre Arbeit tun… Dann hätten die Städte immer noch ihren ihnen eigenen Pulsschlag. Doch er wäre sinnvoller und fröhlicher. Es würden nur die Menschen unterwegs sein, die wirklich unterwegs sein müssten. Die Arbeitswelt wäre von Vertrauen geprägt und nicht durch Kontrolle. Die eingesparte Energie wäre da ein guter Nebeneffekt und die gewonnene Lebenszeit ein Gewinn ohne großen Einsatz.
Am Anfang der Bibel spricht der erste Schöpfungsbericht davon, dass wir Menschen die Erde bebauen und bewahren sollen. Da geht es um Verantwortung, um die Aufforderung, das Leben zu gestalten. Die Möglichkeiten dazu haben wir längst. Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist. Du musst es nur wagen.
Es gilt das gesprochene Wort.