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Ich bin zwölf Jahre alt, als mir das Spielen zum ersten Mal abhandenkommt. Meine Freundin und ich sind irritiert. Wir haben wie immer die Stofftiere und Puppen zur Expedition bereit gemacht. Für eine Tour zum Nordpol braucht man eine besondere Ausrüstung, vier Schichten Puppenkleidung übereinander. Das fordert Fingergeschick und bringt uns sonst immer zum Lachen.
Nicht an diesem Tag. Irgendwie haben wir es schon zuvor geahnt. Es ist trotzdem einen Versuch wert gewesen nach Wochen mal wieder. So als müssten wir uns nur anstrengen und dann könnten wir wieder so selbstvergessen und glucksend aus dem Kinderzimmerteppich eine Eisscholle machen. Es geht nicht mehr. Vielleicht ist zu viel passiert.
Mein Vater ist ausgezogen und ich in die Pubertät eingezogen. Beides ist kompliziert, macht einsam und kühl. Leider ist niemand gekommen, um mir vier Lagen Klamotten anzuziehen. Die abfallende Temperatur um mich herum hat meine Muskulatur am Oberkörper hart gemacht, und ich mag nicht mehr zum Kindertanzen gehen.
Jahre später höre ich von einem Psychologen, dass Kinder spielen, wenn sie sich sicher fühlen. Daran merkt man, dass sich ein instabiles Familiensystem beruhigt, wenn die Kinder wieder entspannt zum Spielzeug greifen können.
Zum Glück entdecke ich neue Spielräume. Eine Quelle ist die Kirchengemeinde am Ort. Unsere Gemeindepädagogin hat Weitblick und ist eine Menschenfreundin. Hier darf man sich ausprobieren, in verschiedene Rollen schlüpfen, auf Reisen gehen: Spielen.
Wir tauchen ab in die Geschichte des gewaltigen Goliat und David, der so klein ist und großen Mut braucht. Wir klettern als Jona in einen selbstgebauten Fischbauch und überstehen einige Zeit in der Dunkelheit.
„Wenn jemand so richtig ätzend ist, dann stellt euch vor, wie Gott mit Liebe auf ihn guckt.“ Sagt unsere Gemeindepädagogin und: „Jeder und jede ist anders komisch.“ Was mich dabei überzeugt: Sie zählt sich selbst dazu. Ja, sie kann einen verkniffenen Zug um den Mund bekommen und auch streng werden. Sie ist definitiv keine Kuschel-Tante aus dem Bilderbuch. Sie hat selbst ihr Päckchen zu tragen, wie ich später erfahre.
Aber sie ist verlässlich und klar. Ich nehme ihr ab, was sie sagt. Dass wir keine Angst haben müssen. Bei ihr sind wir sicher. Das ist eng mit den Geschichten aus der Bibel verbunden, die sie uns erzählt, und mit den Liedern, die wir singen. Das meiste davon habe ich eher intuitiv als kognitiv verstanden. Viel davon ist wieder aufgetaucht in den nächsten Jahren und einiges auch erst als Erwachsene.
Wenn später Situationen gewesen sind, in denen mein Leben eng wird, scheinbar nur noch aus Pflichten besteht, dann erinnere ich mich daran: Ich brauche Platz und Zeit zum Spielen.
„Gott, mein Herz ist bereit, ich will singen und spielen. Wach auf, meine Seele.“ Das kommt aus der Bibel, aus Psalm 108 und drückt genau das aus: Spielen ist ein Element, das uns Menschen entspricht.
Bei allen To-Do‘s in meinem Kopf: Dass ich auch das Recht habe zu spielen, hat echt Erlösungspotenzial für mich. Ein Satz von Schiller hängt darum auf einem Notizzettel an meiner Bürowand: „Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.“
Von Künstler*innen weiß ich, dass sie sich immer wieder mit dieser Lebenshaltung verbinden: Spielt! Folgt zweckfrei den eigenen Impulsen und Ideen, ohne konkretes Ziel vor Augen. Das ist Voraussetzung für kreative Prozesse. Manchmal denke ich, dass das ein Luxus ist und ich dafür keine Zeit habe. Aber was wäre, wenn ich mir und Gott genau da am nächsten wären? Je länger ich darüber nachdenke, desto sicherer werde ich: Gott selbst ist verspielt.
Es gilt das gesprochene Wort.