Wort zum Tage
Gemeinfrei via unsplash/ Brooke Cagle
Tanzen
von Radiopastorin Susanne Richter
22.06.2024 06:35
Feedback zur Sendung? Hier geht's zur Umfrage! 
Sendung zum Nachlesen

Mein erstes Lieblingslied ist „Lord of the Dance“ gewesen. Von einer schottischen Band gesungen. Meine Schwester und ich sind vier und sechs Jahre alt.Wir tanzen dazu auf dem Wohnzimmerteppich und spielen Schottland. Irgendwann später hat uns unsere Mutter erzählt, dass mit dem „Lord of the Dance“ Jesus gemeint ist.

Den Text kann ich damals natürlich nicht verstehen. Aber dass so ein freundlicher und entspannter Mensch wie Jesus „Herr des Tanzes“ ist, finde ich als Kind völlig einleuchtend. Mit ihm haben wir also fröhlich wilde Tänze auf dem rutschigen Parkettläufer vollführt. Zu meiner Freude wurde auch in meiner Heimatkirche ein paar Mal im Jahr in der Kirche zu diesem Lied getanzt. Ich hatte danach immer noch lange die Bilder davon in meinem Kinderkopf.  

Als Jugendliche finde ich dann Tanzen wie alles Körperliche schrecklich unentspannt. Wer wie aussieht und sich bewegt, wird im Freundeskreis genau beobachtet und gegenseitig zensiert. Ich erinnere mich an erste Nahtanzversuche mit 14 Jahren.

Ich sag es mal so: Mit zehn kichernden Freundinnen im Hintergrund gibt es wenig Chance auf so etwas wie Intuition beim Tanzen. Leider kichert und bewertet irgendeine Stimme auch die folgenden Jahre innerlich weiter in mir. Das Ergebnis: Tanzen ist eher ein Krampf für mich. Nach außen nicht sichtbar, aber innerlich doch.

„Am wohlsten fühle ich mich auf der Tanzfläche, wenn ich etwas betrunken bin“, sagt einmal eine Freundin zu mir. „Dann achte ich auf mein Gefühl und nicht mehr auf die anderen und wie ich dabei aussehe.“

Das kann ich gut verstehen. Und es macht mich seltsam traurig. Manchmal denke ich damals an meinen „Schottland-Teppich“. Wo sich meine Schwester und ich zusammen mit Jesus, dem Herrn des Tanzes so frei, wild und ausgelassen bewegt haben.

Ein Zurück dahin ist für mich damals nicht vorstellbar. Auch in den folgenden Jahren: Weder auf der Tanzfläche noch im religiösen Kontext. Auf die Idee, dass Tanzen und Glauben zusammenhängen könnten, komme ich damals nicht.

Überraschend erinnert mich Jahre später aber eine Online-Tanz-Gruppe wieder daran. „Online-Tanz-Gruppe“, das klingt schräg und genauso guckt mich mein Mann an, als ich ihm erzähle, dass ich mich ab jetzt einmal pro Woche mit Frauen aus der ganzen Welt per Zoom treffe, um vor dem Bildschirm zu tanzen. Als sich in der Coronazeit nichts mehr bewegt, habe ich auf einmal wieder Lust zum Tanzen.

Die Grundvoraussetzung der Teilnehmerinnen muss Humor sein, das wird mir schnell klar. Wer legt sich sonst flach auf den Boden und tanzt eine Seeanemone oder brummt wie eine Bärin. „Was tue ich hier nur?“, frage ich mich öfter und muss lachen, wie wir uns auf unseren Teppichen kringeln.

Albern oder absurd ist dabei aber tatsächlich nichts. Irgendwann merke ich, wie zentriert die Teilnehmerinnen sind und wie verbunden wir miteinander sind bei aller Experimentierfreude und trotz Online-Format. Vor allen Dingen am Ende der Stunde, wo wir immer in eine gemeinsame Stille einkehren.

„Wir treffen uns in einer Stille, die hinter dem Schweigen liegt. Die unsere gemeinsame Stille ist“, sagt die Tanzlehrerin dann immer. Und irgendwann währenddessen ist der Lord of the Dance tatsächlich wieder zurück. Ich hatte ihn auch schon vermisst. 

Es gilt das gesprochene Wort.