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Die Sendung zum Nachlesen:
In den letzten Herbsttagen, als es heftig regnete und viel Laub auf den Straßen lag, hatte ich einen Unfall mit meinem Fahrrad. Die Strecke war abschüssig. Ich hatte ziemlich Tempo drauf. Plötzlich taucht aus der Dunkelheit kommend ein kleiner weißer Hund vor mir auf. Ich bremse erschrocken. Mein Hinterrad bricht aus, ich liege auf der Nase. Der Hund hüpft zur Seite, nichts passiert. Einen Moment bleibe ich benommen liegen. Der Besitzer des Hundes geht lässig weiter. Er würdigt mich keines Blickes. Als wäre ich Luft geht er an mir vorbei.
Augenblicke später läuft ein Jugendlicher mit Baseballcap, etwa fünfzehn Jahre alt, auf mich zu und reicht mir seine Hand. Er zieht mich hoch und sagt: „Alles gut? Ey Alter, das sah ja heftig aus. Haste dir was getan?“ Ich schüttele den Kopf. Selten habe ich mich über die Anrede „Ey Alter“ so gefreut wie in diesem Moment. Mehr noch: Ich fühlte mich getröstet und angesehen. Der Junge ist mein guter Tröster gewesen in diesem Moment.
Trost braucht keine Flut von Worten. Ich brauche kein dickes Trostpflaster, wenn ich gestürzt bin. Aber es tut gut, gesehen zu werden. Untröstlich bin ich, wenn jemand einfach so an meiner Not vorbeigeht, ohne mich zu registrieren. Der Junge war da und tat mir gut, als ich jemanden brauchte.
„Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott. Redet mit Jerusalem freundlich.“ So beginnt ein Trostlied aus dem Alten Testament. Die Stimme des Propheten Jesaja erhebt sich genau im richtigen Moment. Da war sie notwendig: Als das Volk Israel in seiner tiefsten Krise war und in Babylon im Exil festsaß.
Was nützt mir ein Gott, der mein Leid nicht sieht? Gott kann wie ein entfernter Verwandter werden, der einen nicht mehr besucht. Der an einem vorübergeht, ohne Halt zu machen. So beschweren sich die Israeliten bei ihren Priestern und Schriftgelehrten: Was bringt mir mein Glaube, wenn es uns schlecht geht? Gott sieht uns nicht, er hält sich zurück, so klagen sie.
Glaubenskrisen gehören zum Menschsein dazu, das haben Menschen aller Zeiten erfahren. Not und Krisen lassen sich nicht umschiffen. Manchmal ist man mittendrin. Dann braucht es einen Tröster.
Ein Prophet, den man auch den zweiten Jesaja nennt, versucht sich an einer Antwort. Er ist überzeugt davon – Gott sieht mein Leid. Und Jesaja spürt, dass etwas in der Luft liegt. Gott ist im Kommen. Gott sieht dich und mich an!
„Bereitet dem HERRN den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott! Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden, und was uneben ist, soll gerade werden.“
Das sagt der Prophet dem zweifelnden Menschen: Wenn Gott kommt, dann siehst du wieder einen Weg. Wenn Gott kommt, dann hat deine Ausweglosigkeit ein Ende. Gott ist ein Gott, der uns sieht. Er verschließt seine Augen nicht vor deiner Not. Bei ihm kommt kein Mensch zu kurz. Wie könnte er sein eigenes Volk vergessen!
Ein Prophet, so habe ich früher gedacht, kann in die Zukunft schauen. Er sieht vielleicht etwas, was im Kommen ist. Wenn ich Jesajas Stimme höre, dann denke ich eher: Ein Prophet spürt auch sehr genau, was seine Generation gerade jetzt in diesem Moment braucht. Er ist ein Mensch der Gegenwart. Sein Erkennen ist messerscharf: Seine Leute brauchen einen Weg zurück ins Leben. Beistand und Trost.
Trost zu spenden ist eine der wichtigsten Aufgaben von Kirche. Dafür muss man keine großen Verrenkungen machen. Es reicht, Menschen in Not aufmerksam zuzuhören. Sie anzusehen und nicht gleich zuzutexten. Es reicht, wenn man sich in trostlosen Zeiten nicht weg duckt, sondern sich präsent zeigt. So wie der plietsche Junge aus Bremen, dessen Stimme noch in meinem Ohr nachklingt: „Ey Alter, alles gut?“
Es gilt das gesprochene Wort.