Das Richtige tun – Leben mit Mission

Das Richtige tun – Leben mit Mission

Gemeinfrei via unsplash / Vicky Hincks

Das Richtige tun – Leben mit Mission
17.03.2024 - 08:35
22.02.2024
Pfarrer Stephan Krebs

von Pfarrer Stephan Krebs

Über die Sendung:

Angesichts der Herausforderungen für die Zukunft fragen sich immer mehr Menschen: Wie kann ich richtig leben? Ethik – durch die drängenden Themen neu entdeckt. Gut so, findet unser Autor Stephan Krebs. Und er hat eine Idee, wie man sich dabei vor Selbstüberschätzung und -überforderung bewahren kann.

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In letzter Zeit treffe ich immer mehr Leute, die sich für eine gute Sache einsetzen wollen. Sie haben eine Mission und richten ihr Leben danach aus. Das finde ich erstaunlich, denn jahrzehntelang war das große Stichwort eher die Freiheit. Viele wollten sich persönlich frei entfalten und Zwänge abstreifen. Einfach möglichst gut und komfortabel leben. Doch nun fragen viele verstärkt: „Was ist richtig? Und was kann ich dafür tun?“ Dabei finden sie mit neuen Themen für sich etwas heraus, was Menschen schon immer hatten: eine ethische Haltung. Zu entscheiden und zu begründen, was ich für richtig und gut halte, dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Das kann der christliche Glaube oder eine andere Religion sein, eine humanistische Ethik oder eine andere Richtschnur.

Wem folgen? Danach hat auch der Singer-Songwriter Bob Dylan gefragt. Berühmt wurde er als prominente Proteststimme der 1968er-Bewegung. Bald wandelte er sich jedoch zum individualistischen Freigeist und ließ sich vor keinen Karren mehr spannen. Doch nur seine individuelle Freiheit zu pflegen, erschien ihm dann wohl doch zu wenig. Um 1980 herum wandte er sich für einige Jahre dem Christentum zu. Auch in seinen Songs. Einer trägt den Titel „Gotta Serve Somebody“. Zu Deutsch: „Du musst jemandem dienen“. Im Refrain wiederholt Bob Dylan eindringlich immer wieder: „Du kannst alles Mögliche sein und in deinem Leben machen. Aber du wirst jemandem dienen müssen, ja wirklich. Das kann der Teufel sein oder der Herr. Aber du wirst jemandem dienen müssen.“

Für eine gute Sache einstehen. Das findet immer mehr Anklang. Ein Beispiel: Viele junge Leute leben heute vegan. Vegetarisch ist ihnen schon zu wenig. Sie wollen für ihr Leben keinerlei Tier nutzen und schon gar nicht töten. Das ist nicht leicht, denn sie müssen ihr veganes Leben sehr bewusst führen und dabei auf vieles verzichten.

Andere wollen keine Flugzeuge mehr benutzen und möglichst auch keine Autos, weil deren CO2-Ausstoß die Umwelt belastet. Auch das ist nicht leicht, denn gerade junge Leute wollen gerne die Welt erkunden. Das ist mit Flugzeug und Auto verführerisch einfach. Viel mühsamer dagegen mit Bahn, Fahrrad oder zu Fuß.

Letztes Beispiel: Viele sind sehr sensibel geworden für alles, was andere Menschen herabwürdigen könnte. Sie geben sich große Mühe, allen respektvoll zu begegnen – insbesondere den bisher Benachteiligten. Deshalb schlagen sie zum Beispiel vor, Straßennamen zu entfernen, die aus der Kolonialzeit stammen. Wenn sie sprechen oder schreiben, bemühen sie sich dabei, niemanden auszugrenzen. Es ist nicht leicht, all die versteckten Aspekte von Ausgrenzung und Rassismus zu entdecken und zu vermeiden.

Man kann über diese drei Beispiele verschiedene Meinungen haben und darüber diskutieren. Das muss man sogar, denn oft ist gar nicht eindeutig, was richtig und was falsch ist. Allerdings werden die Debatten oft schlecht gelaunt geführt: genervt, herabwürdigend und mit wenig Interesse an den Argumenten der Gegenseite. Das ist schade, denn ich finde es gut, dass sich viele Gedanken machen über den Zustand der Welt – und daraus auch Konsequenzen ziehen.

Wie führe ich mein Leben richtig? Diese Frage ist mir als Christ vertraut, denn sie gehört fest zum Wesen des Christentums. Es hat für die heutigen Debatten etwas Wichtiges beizutragen. Dazu später mehr. Erst einmal will ich fragen: Was treibt diejenigen an, die heute einer guten Sache dienen wollen? Schließlich lebt man mit einer solchen Mission anstrengender als ohne. Warum nehmen das viele auf sich?

Wie führe ich mein Leben richtig? Danach fragen zurzeit insbesondere viele junge Leute. Sie haben dabei die massiven Probleme vor Augen, die die Menschheit derzeit hat. Für sie geht es um nichts weniger als um die Zukunft der Welt, wie wir sie heute kennen. Einer von ihnen ist Nikolas. Er ist 20 Jahre alt und sagt mir ganz klar: „Ich habe eine Mitverantwortung für die Zukunft und die will ich auch gerne übernehmen.“ Ihm reicht es nicht zu sagen: „Sollen doch die anderen erst einmal etwas tun. Oder: Das muss die Regierung machen. Und wenn sie dann etwas tut, bin ich dagegen, weil es mir etwas zumutet. Nein, so wird das nichts.“ Nikolas fügt noch hinzu: „Jetzt sind alle gefragt. Jede und jeder einzelne kann und muss seinen Betrag leisten, dass die Welt friedlicher und gerechter wird und ökologisch wieder heilt.“

So denken viele und einige haben dabei auch christliche Motive im Hintergrund. Zum Beispiel die Schöpfungserzählung in der Bibel. Darin beauftragt Gott die Menschen, die Schöpfung zu bebauen und zu bewahren. (Genesis 2,15) An vielen Stellen in der Bibel fordert Gott dazu auf, untereinander Frieden und Gerechtigkeit zu wahren. (Psalm 34,15, Röm. 6,13 u.v.m.)

Nikolas empfindet einen generellen Respekt vor dem Leben. Deshalb will er sich so begrenzen, dass die Erde ein guter Ort bleibt - für ein vielfältiges Leben, nicht nur für wenige, sondern für möglichst viele.

Nikolas greift auf, was bereits der Philosoph Immanuel Kant gefordert hat. Vor 300 Jahren wurde er geboren. Kant traute den Menschen viel zu. Sie waren für ihn nicht dafür geschaffen, stille Untertanen zu sein, sondern mündige Bürgerinnen und Bürger zu werden. Deshalb gilt er als Vordenker der Aufklärung und auch der Demokratie.

Für Kant war klar: Menschen sind fähig zur Verantwortung für sich selbst und für die Welt. Mit Vernunft und Argumenten können sie das Leben gut gestalten. Dafür hat er eine einfache Grundregel formuliert: „Verhalte dich so, dass alle anderen Menschen auch so leben könnten.“ Darum geht es in der Sache. Kant hat sie nur etwas komplizierter ausgedrückt: „Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.“ Das nannte Kant den „kategorischen Imperativ“.

Das heißt so viel wie: unbedingtes Gebot.

„Verhalte dich so, dass alle anderen Menschen auch so leben könnten.“ Das klingt einfach und logisch. Aber wenn man es umsetzt, merkt man schnell: Dann muss ich vieles anders machen. Denn: Wenn alle Menschen so viel Energie verbrauchen wie ich bisher, dann ist die Erde – Stand heute - schnell am Ende. Wenn alle Menschen so viel Fleisch essen und Tiere verbrauchen wie die Menschen in Deutschland, bricht die Natur zusammen. Umgekehrt ist aber auch zu sagen: Wenn alle Menschen anfangen, vegan zu leben, sterben alle Nutztiere aus.

Daran erkennt man: Über eine Grundregel für richtiges Verhalten muss man genau nachdenken. Denn die Dinge sind oft nicht einfach und nicht eindeutig. Aber Kants Regel eignet sich bestens, um das eigene Verhalten zu prüfen. Genau das tun Nikolas und viele andere. Im Gespräch mit ihm finde ich heraus, dass ihn noch etwas anderes antreibt. Etwas sehr Persönliches. Und ich merke: Dabei könnte es ihm guttun, wenn er Gottes Nähe einbeziehen würde.

Wie führe ich mein Leben richtig? Diese Frage beschäftigt Nikolas, den jungen Mann mit 20 Jahren. Dabei treibt ihn nicht nur eine große Vision für die Welt an, sondern auch ein ganz persönlicher Wunsch: Er möchte sich nicht schuldig machen. Für ihn soll kein Tier ausgebeutet oder gar getötet werden. Und deshalb lebt er vegan. Er möchte nicht mitschuldig sein am Klimawandel und seinen verheerenden Folgen. Auch deshalb versucht er, so klimaschonend wie möglich zu leben.

Nikolas versucht, ohne persönliche Schuld zu leben. Das finde ich großartig. Darin erkenne ich auch ein zentrales christliches Anliegen wieder. Als Christ möchte ich meinem Vorbild Jesus Christus nacheifern – mit meinem Lebensstil, mit meinem Verhalten. Das muss auch so sein. Der Glaube ist tot, wenn er sich nicht auch in Taten zeigt, so heißt es in der Bibel. (Jakobus 2,17) Der Glaube soll aber lebendig sein. Dafür nennt der Apostel Paulus diese Stichworte: „Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Großzügigkeit; Freundlichkeit und Selbstbeherrschung.“ (Galater 5,22) Darin stecken viele gute Anregungen für die Lösung heutiger Probleme.

Doch Nikolas winkt ab. Für ihn ist die Bibel nicht der Maßstab. Er argumentiert mit seiner tief empfundenen Menschen- und Tierliebe und seiner Verbundenheit mit der Natur. Er möchte das Existenzrecht für alles Lebendige wahren. Mich beeindruckt er damit sehr.

Aber ich mache mir auch Sorgen um Nikolas. Denn ich befürchte, dass er sich dabei selbst überfordern könnte. Die Schöpfung ist nicht als die große Harmonie angelegt. Sie trägt Härte und Grausamkeit in sich. Deshalb fürchte ich: Schuldig werden gehört zum Leben dazu. Das ist kein Freibrief zur Ausbeutung. Es begrenzt jedoch die menschlichen Möglichkeiten, für die große Harmonie selbst zu sorgen. Aber Nikolas muss wohl so denken. Wer sonst sollte die Welt in die Hand nehmen? Die, die ohne Gott leben, müssen eben selbst für eine heile Welt sorgen. Oder daran verzweifeln. Ich komme deshalb nicht ohne meinen Glauben an die Gnade Gottes aus.

Ich hoffe, dass Nikolas und die viele anderen Engagierten nicht verzweifeln, sondern dass sie gestärkt werden. Deshalb wünsche ich ihnen, dass sie nicht nur zurückgreifen können auf ihre starke ethische Haltung und auf ihren Eifer für eine bessere Welt. Sondern dass sie noch etwas dazubekommen, das ich bei Gott finde: Barmherzigkeit und Zuversicht. Das bewahrt davor zu verzweifeln.

Denn die Durchhänger werden kommen. Zum einen, weil niemand diesen Weg konsequent gehen kann. Allzu oft bleibt man hinter seinen Ansprüchen zurück. Man tut Dinge oder lässt sie zumindest geschehen, die den eigenen Prinzipien nicht gerecht werden. Zum anderen gehen längst nicht alle Menschen diesen Weg mit. Viele bleiben auf dem egoistischen Pfad: möglichst viel für mich - Folgen egal.

Es ist schwer, darüber nicht zu verzweifeln – weder an der Welt noch an sich selbst. Der Glaube kann helfen, sich immer wieder neu zu finden und zu engagieren. Christen müssen nicht perfekt sein. Sie können es gar nicht. Gott sucht gar nicht danach. Gesucht werden vielmehr Menschen, die sich immer wieder neu stärken lassen. Gott verschenkt Hoffnung und Kraft zum Durchhalten, zum Weitermachen. Das ist meine Erfahrung: Das Vertrauen darauf, dass Gott barmherzig mit Fehlern umgeht, ist für mich eine Quelle für Zuversicht und Tatkraft.

Es gilt das gesprochene Wort.

 

Musik dieser Sendung:

1. – 3. Bob Dylan: „Gotta serve somebody”

22.02.2024
Pfarrer Stephan Krebs