Wie Gott tröstet

Kirche des Diakonissenhauses Kassel
Wie Gott tröstet
Gottesdienst aus der Kirche des Diakonissenhauses Kassel
01.01.2016 - 10:05

Über den Gottesdienst

Das neue Jahr ist erst ein paar Stunden alt. Menschen fragen sich, was es bringen wird. Ob sie es heil überstehen? Ob sie gesund werden? Ob sich alte Konflikte lösen werden? Trotz dieser Fragen und mancher Sorgen wünschen sich viele, getrost ins neue Jahr zu gehen. Und getrost zu leben mit festem Grund unter den Füßen und einem weiten Horizont vor sich. Die Jahreslosung macht Mut dazu und spricht Gottes Beistand aus: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet!“ (Jes  66,13). Wie helfen diese Worte dabei, getrost zu leben? Prälatin Marita Natt und Pfarrer Reinhard Natt gehen im Rundfunkgottesdienst der Frage nach, wie Gott tröstet.

Die musikalische Gesamtleitung liegt in den Händen von Kantor Martin Forciniti. Unter seiner Leitung singen und musizieren Traudl Schmaderer (Sopran), Ullrich Pühn (Flöte), Elvan Schumann (Violine) und Cornelius Schmaderer (Violoncello).

Die Kirche des Diakonissenhauses in Kassels Westen war ursprünglich eine Kirche nur für das Mutterhaus der Diakonissen des Kaiserswerther Verbandes. Längst ist die Kirche offen auch für die Menschen, die in der Umgebung wohnen und einen lebendigen Kontakt und Gemeinschaft suchen. Hier versammeln sich mit Nachbarn und Freunden auch Mitarbeiter und Patienten des benachbarten Krankenhauses zum gemeinsamen Gottesdienst.

Am 6. Mai 1962 wurde die heutige Kirche eingeweiht. Sie erinnert in ihrer Form an ein Zelt und will damit zum Ausdruck bringen, was im Hebräerbrief so formuliert wird: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr. 13,14)

 

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Predigt

Der Friede Gottes sei mit euch allen. Amen

 

Gott spricht: “Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“ (Jes.66,13).

„Trösten“, dieses Wort leuchtet mir besonders hell entgegen wenn ich die Jahreslosung für 2016 höre. „Behütet und getröstet“, ja, das möchte ich sein, wenn ich durch das noch unbekannte neue Jahr gehe. Nun ja, nicht alles ist unbekannt! Das wird bei Ihnen nicht anders sein: Da sind Termine, die fest stehen, berufliche und private. Geburtstage lieber Menschen, Begegnungen, auf die man sich freuen kann. Natürlich sind da auch Tage, die Bauchschmerzen bereiten. Aber  – Gott sei Dank – auch der Urlaub ist geplant!

 

„Trösten“, an diesem Wort bleibe ich hängen. Warum? Ich denke, wir haben alle erfahren, wie Trostbedürftig wir sind, wie schnell Lebenspläne durchkreuzt werden können. „Böser Tage schwere Last“, von denen Dietrich Bonhoeffer geschrieben hat, haben uns eingeholt: Gewalt, Terror, Tod, die Bilder von Paris, sie haben sich eingegraben. Die unbeschwerte Freude, die Leichtigkeit des Seins, die fröhlichen Begegnungen in einem Café – das alles ist nun beschattet. Und es wird nicht leicht sein mit diesen Schatten zu leben.

 

Aber auch im ganz persönlichen Lebensalltag hat es im vergangenen Jahr bei der einen und dem anderen Einbrüche gegeben. Ein Konflikt, eine zerbrochene Beziehung, eine Krankheit. Einschnitte, die uns traurig machen und zur Last geworden sind. Manche haben sie im beruflichen Umfeld, andere im privaten Bereich erlebt. Viele erfahren, dass Schmerzen nur langsam heilen.

Wie wunderbar, wie tröstlich, dass uns am Anfang des neuen Jahres ein Bibelwort begegnet, das zusagt, dass wir nicht allein gelassen sind mit unseren Fragen, unserer Last, unserer Trauer, den Verwundungen.

 

Gott spricht: “Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“

Er sagt uns in diesen Worten zu: Du wirst nicht allein sein! Das höre ich und es macht mir Mut! Die Jahreslosung beschreibt diesen Trost Gottes auf wunderbare Weise, mit einem Bild. Das Bild vom Trost, den eine Mutter spenden kann.

 

Eine Portion Mama! Kaum etwas ist für viele so heilsam wie ihre Stimme, ihre Nähe, ihre Arme. Wer sich dahin flüchten kann, der ist getröstet. Nicht nur bei aufgeschürften Knien, sondern auch bei aufgeschreckter  Seele…!

„Die Mutter war´s, was braucht´s der Worte mehr“, dieser schlichte Satz in Traueranzeigen hat mich als Gemeindepfarrerin immer sehr berührt.

Mütter haben durch Schwangerschaft und Geburt eine besondere Beziehung zu ihrem Kind. Für die meisten Menschen steht die Mutter für Geborgenheit und Leben. Jesaja muss es so erlebt haben; denn er beschreibt Gottes Liebe und Nähe indem er sie mit der Liebe zwischen Mutter und Kind vergleicht. Die Mutter ernährt, trägt auf den Armen und liebkost auf den Knien, schreibt er. Sie ist zärtlich, lebensspendend, schützt vor den Gefahren des Lebens! So tröstet Gott, sagt er uns zu. So spricht Gott von sich. So allumfassend ist seine Liebe.

 

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“.

 

Wie tröstet eine Mutter? Ich möchte sagen: Dadurch, dass sie da ist, mir zuhört, mich ermutigt, mich lieb hat so wie ich bin – mit meinen Stärken und Schwächen. Überall auf der Welt finden sich Mütter, die Beispiele sind für solche bedingungslose Liebe!

 

 

 „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Das ist eine wertvolle Zusage. Trost kann ein Mensch immer wieder brauchen, egal wie alt er ist.

Manche Jugendliche sind traurig, weil sie den Anforderungen in der Schule nicht gewachsen sind. Andere spüren: Wir entsprechen nicht den Vorstellungen der Eltern. Immer wieder sind sie enttäuscht von ihnen und zeigen das.

Oft denke ich: je älter wir werden, umso mehr Trost brauchen wir, weil es immer wieder gilt: Abschied zu nehmen.

Bei den einen bleiben körperliche Gebrechen nicht außen vor. Kein noch so dickes Fell verhindert, dass man daran leidet.

Mir macht es eine Menge aus, dass ich manches nicht mehr so kann wie noch in jungen Jahren. Da heißt es für mich zum Beispiel Abschied nehmen von liebgewordenen Sportarten und Bewegungsabläufen, die mir große Freude bereitet haben. Es tut einfach weh, wenn etwas unwiderruflich zu Ende ist. Vielleicht haben Sie das so oder ähnlich erlebt- gerade im vergangenen Jahr 2015.

 

In solchen Situationen will ich nicht billig getröstet werden mit den Floskeln: „Das ist eben so, da kommt keiner gegen an; das ist das Alter“ usw. usw.

Oder wenn jemand von einem lieben Menschen endgültig Abschied nehmen muss. Da helfen keine Sätze wie: Jeder hat sein Päckchen zu tragen oder das Leben muss weiter gehen. In solchen Situationen ist echter Trost gefragt. Hilfreiche Worte oder Gesten, die mich aufbauen, mich nach vorne sehen lassen und mir Mut macht, Neues im Leben zu entdecken. Echter Trost meint: getröstet zu werden auf wunderbare Weise.

Für mich verbinden sich damit ganz persönliche Erfahrungen: Meine Mutter nahm mich in ihre Arme, Arme wie große Flügel und legte sie schützend um mich, wenn ich traurig und verzweifelt war. Ich spürte die vertraute innige Nähe, ihre körperliche Wärme, und hörte ihre liebevolle Stimme.

Manchmal hat da ein Ton in der Stimme mitgeschwungen, der nicht nur nach besänftigendem Trost klang. Dieser Ton hatte etwas Forderndes, Provozierendes. Doch jedes Mal spürte ich: Alles wird gut, meine Tränen trocknen, und ein Licht am Horizont geht neu auf – für mich. Eben war ich noch am Boden, war zerknirscht, sauer auf Gott und die Welt, hätte alles hinschmeißen können, - und dann? Meine Energie kam wieder. Ich fasste Mut, nach neuen Wegen zu suchen. So will Gott mich trösten, - wie mich meine Mutter getröstet hat! Geht das überhaupt?

Ich denke, es ist ein hilfreiches Bild für alle Menschen, die Muttertrost so erleben durften. Andere, die eine schwierige Beziehung oder gar keine zu ihrer Mutter haben, schreckt das Bild ab. Deshalb möchte ich das Bild der Mutter nicht auf eine weibliche Person beschränken.

Ich denke, erlebbar wird der Trost Gottes durch Menschen, die wie Mütter sein können. Das können auch Väter, Großväter, Freunde und Freundinnen sein. Jeder Mensch, der einem anderen gut tut und dessen Nähe als heilsam empfunden wird. Jeder, der einen anderen tröstet, indem er zuhört, ihn aufbaut, vielleicht auch vergibt oder einfach mit ihm seine Traurigkeit aushält.

„Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein“, auch nicht Frauen mit Flügeln. Gottes Trost wird erfahrbar durch Menschen wie Sie und ich. So können wir Gottes Trost erfahren. Und so tröstet Gott auch andere  durch uns und richtet sie auf.

Deswegen dürfen wir uns einreihen in die Gemeinschaft der Heiligen, zu der wir uns im Glaubensbekenntnis ausdrücklich hinzuzählen dürfen.

 

Und dann gibt es noch eine weitere Weise, Gottes Trost zu erfahren. Ich finde ihn immer wieder im Gebet. Es hilft mir, stille zu werden, ein Bibelwort zu lesen und zu warten, dass ich die Stimme Gottes höre. Im Gebet und dieser innigen Zwiesprache, schenkt mir Gott Kraft und tröstet mich. Das Gebet kann eine geistliche Nahrung sein, um gestärkt einen neuen Weg zu gehen. Manchmal muss ich wie ein Kind tröstende Worte empfangen und einfach dem vertrauen, der uns zugesagt hat: ich will euch mütterlich trösten. Gott, der oft als Vater angesprochen wird, begegnet uns in der Jahreslosung stark mit seiner weiblichen Seite. 4:30

 

 

Gott tröstet uns nicht nur. Er befähigt uns auch, andere zu trösten. Gerade in dieser Zeit, wo Menschen in unser Land kommen, die ein neues Leben beginnen möchten! Es sind Eltern mit ihren Kindern, einzelne Männer und Frauen, Jugendliche. Sie alle haben erkannt und beschlossen, dass ihr Leben im bisherigen Umfeld nicht weiter gelebt werden kann und sind aufgebrochen. Sie brauchen Trost und neue Hoffnung!

„Mutti richtet das schon“, vielleicht erinnern Sie sich an das Zitat aus der Presse im Herbst des vergangenen Jahres. „Mama Merkel“, haben viele damals auf große Blätter geschrieben, fühlten sich von ihr gestärkt, getröstet und willkommen geheißen.

Aber „wie ist es zu stemmen“, das ist gleich die nächste Frage gewesen. Da sind wir als Kirche und Christen gefragt! Und wir haben vielfache Antworten darauf: Häuser, die wir zur Verfügung stellen. Ehrenamtliche, die unermüdlich dafür sorgen, dass Grundbedürfnisse des Lebens erfüllt werden. Seelsorger, die ein offenes Ohr für die persönlichen Nöte haben.

Trösten, das bekommt jetzt noch einmal einen ganz anderen Geschmack. Ganz elementar, wie es der Prophet Jesaja in einem weiteren Vers beschreibt: „Seid von Herzen fröhlich mit ihr, alle, die ihr über sie trauert, dass ihr euch labet und satt werdet an der Brust ihres Trostes, dass ihr schlürfet und euch erquicket an ihrer reichen Mutterbrust… wie einen seine Mutter tröstet, so will ich euch trösten“.

Diese Worte sind Menschen zugesagt, die damals aus Jerusalem vertrieben wurden durch die Babylonier. Den Vertriebenen, die weit entfernt von ihrem Tempel, von Jerusalem, gelitten und getrauert haben. Sie sollten bald nicht mehr leiden. Sie sollten satt werden und sich geborgen fühlen. Gott eröffnet eine Zukunft.

Ich hoffe, dass diese Worte auch für die Flüchtlinge unserer Tage gelten. Ihnen kommt zwar eine Welle an Hilfsbereitschaft entgegen, aber Sättigung in Fülle wird es lange nicht geben.

Gott spricht: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ Diese Zusage tut mir gut. Sie gilt auch heute! Weihnachten und Karfreitag stehen dafür. Krippe und Kreuz erinnern daran, dass Gott in der Welt ist. Seine Arme öffnet für Suchende, Leidtragende, Menschen, die Schuld auf sich geladen haben.

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet“. Aus persönlicher Erfahrung als dreifache Mutter weiß ich, wie schwer das manchmal ist. Aber: Mütter machen Mut, Mütter trauen ihren Kindern etwas zu. Mütter vergeben große und kleine Sünden. In Ihre Arme kann man fliehen, wenn die ganze Welt zusammen zu brechen scheint. Und in der Regel schaffen Mütter es auch die Herausforderungen der Pubertät auszuhalten. Sie versuchen, Verständnis aufzubringen für alle Verrücktheiten und sie lassen Freiheit, das Leben auszuprobieren, und Fehler zu machen, auch wenn es weh tut. So will Gott für uns sein. Mit allen Verletzungen, mit Schmerz, Schrecken und Schuld in unserem Leben dürfen wir immer wieder neu zu ihm kommen, finden wir seine offenen Arme. Er ist wie eine Mutter, die immer eine Tür offen lässt, damit ihr Kind nach Hause kommen kann. Eine wirklich tröstende und ermutigende Zusage am Beginn eines neuen Jahres! Gott sei Dank dafür!

 

AMEN