Dem Frieden in der Welt dienen

Feiertag
Dem Frieden in der Welt dienen
12.06.2016 - 07:05
13.06.2016
Militärbischof Sigurd Rink

Über die Sendung

„Birnenland. So nennen die Einheimischen ihre Heimat“ ... mit Militärbischof Sigurd Rink geht es in den Kosovo. Und zu 3 Imperativen: Vorsorge, Konfliktbewältigung, Wiederaufbau!

 

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Birnenland. So nennen die Einheimischen ihre Heimat. Diesen gesegneten Landstrich unter der Sonne des Südens. Umringt von Mazedonien, Albanien, Montenegro, Serbien findet sich dies kleine, feine Land mit Namen Kosovo. Birnenland. Ein fruchtbarer Landstrich. Verwöhnt vom Klima. Fruchtbare Böden, wo Olivenbäume stehen und Wein wächst, wo Obst gedeiht und Korn in Fülle. Über Jahrhunderte hinweg haben hier Menschen ganz schiedlich friedlich zusammengelebt. Unterschiedliche Ethnien, unterschiedliche Religionen: Islam und Christentum. In Toleranz und guter Nachbarschaft.

Bis der Krieg losging. Der Kosovo wurde zum Schlachtfeld. Von unterschiedlichen Ethnien und Interessen und Großmachtansprüchen. Seit den 1990er Jahren ist es vorbei mit dem friedlichen Birnenland. Das Land ist noch heute vermint, und die organisierte Kriminalität ist weit verbreitet, eine echte Plage fürs Land: Drogen, Menschenhandel, Zwangsprostitution.

Die Menschen sind verarmt. Auf der Flucht nach einer neuen Heimat, einer neuen Zukunft.

Wir sind im Konvoi unterwegs. Wir starten in Prizren, wo deutsche Soldaten stationiert sind um für den Fall der Fälle Sicherheit zu geben. Wir fahren nach Mitrovica, hoch im Norden. Hier verläuft die ehemals umkämpfte Grenze nach Serbien mitten durch die Stadt. Wir besuchen Bernd Baumgärtner. In seinem früheren Leben leitete er die Diakonie in Trier. Jetzt hat er sich ganz der Entwicklungszusammenarbeit verschrieben. Er ist ein diakonischer Gründungsvater wie aus dem Bilderbuch. Grauhaarig, mit Vollbart, eher klein und unscheinbar – auf den ersten Blick. Doch sein Blick und mehr noch seine Worte strahlen Energie aus. Da will jemand etwas.

 

Bernd Baumgärtner hat im Norden Kosovos seine Diakonia Kosova gegründet. In einem Land, wo es kaum mehr Christen gibt und schon gar keine Evangelischen, gründet er ein Diakonisches Werk. Jesus hat ja auch nicht erst nach dem Taufschein gefragt, sagt er. Drei Säulen seines Wirkens hat er ausgemacht, die ihm in diesem Land besonders Not tun: Werkstätten für junge Menschen, die die Schule hinter sich haben und nun auf der Straße stehen. Einen Bauernhof für Menschen, die körperlich oder seelisch beeinträchtigt sind. Ein Jugendzentrum mitten in der Stadt Mitrovica, direkt an der Brücke, die noch vor wenigen Jahren den umkämpften Nordteil vom Südteil der Stadt trennte.

Er hält sich schlicht an den Satz Jesu aus dem Matthäusevangelium: „Was ihr einem von diesen meinen geringsten Geschwistern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Jesus hat die „kleinen Leute“ vor Augen. Die, nach denen niemand fragt. Die keine Macht haben, kein Geld. Die, die ums tägliche Leben kämpfen müssen. Die nichts zu zählen scheinen. Fußvolk.

 

Es wird schon langsam Abend, als wir mit unserem Konvoi Mitrovica erreichen. Bernd Baumgärtner erinnert mich an die bittende Witwe, von der Jesus in einem Gleichnis erzählt. Diese Frau, die beharrlich dran bleibt an dem, was ihr Herz bewegt. Trotz Rückschlägen bleibt sie hartnäckig, nichts kann ihre Zuversicht erschüttern. So auch Baumgärtner: Er hat lange geworben in Deutschland, regelrecht gebettelt hat er in der Europäischen Union, bis er es endlich bekam: dieses Jugendzentrum mitten auf der Grenzlinie, für Jugendliche, die einst verfeindet waren, bis aufs Blut. Jetzt leistet Baumgärtner hier Versöhnungsarbeit mit ihnen.

Wir versammeln uns in einem Gruppenraum, um all das zu erfahren, was hier Tag für Tag, Woche für Woche geleistet wird. Plötzlich: Undefinierbare Geräusche. Frrrrrrrrrrrt. Und noch einmal: Frrrrrrrrrrrrt. Es hört sich so an, als sei draußen etwas vorbeigeflogen. Kurzes Innehalten. Die Feldjäger spitzen die Ohren. Aber sie sagen nichts, sie bewahren Ruhe.

Nachdem Bernd Baumgärtner uns alles erklärt und erläutert hat, gehen wir hinaus auf die Straße. Etwa 100 Meter weiter hat sich eine Menschentraube gebildet. Recht laut und gestikulierend stehen die Leute beieinander und wenden sich von der Straße ab, um etwas zu betrachten.

Wir besteigen unsere Busse und fahren langsam tastend der Menschenmenge entgegen. „Kalaschnikow. Kalaschnikow-Salven. Das waren die Geräusche, die vorhin an uns vorbeirauschten“, sagt einer der Feldjäger. Im Schritttempo durchfahren wir die Menschenmenge. Wir sehen ein Bild des Grauens. Vor dem Rathaus steht ein stolzes Brautauto. Festlich geschmückt. Blumen auf der Motorhaube. Weiße Bänder und Girlanden. Doch das Auto ist zerstört. Überall Glassplitter und geborstenes Blech. Braut und Bräutigam sind an ihrem Hochzeitstag Ziel eines Anschlags geworden.

 

Ein Attentat am Hochzeitstag. Nicht einmal im Lokalsender wird davon berichtet! Mir wird in diesen schrecklichen Bilder vor Augen geführt: Wie brüchig ist hier der Friede! Was tun sich die Menschen hier gegenseitig an! Und das in einem Land, das wir in Deutschland als sicheren Herkunftsstaat bezeichnen.

 

 

Wo die staatliche Ordnung brüchig, fragmentarisch ist, da wächst die Kraft von Kriminellen. Statt der Stärke des Rechts herrscht hier das Recht des Stärkeren.

Und beileibe: der Kosovo ist kein Einzelfall. Wohin wir auch schauen im Umfeld von Europa: Wir sind umgeben von Krisenherden, es brennt an allen Ecken und Enden, ein „ring of fire“. Auf dem eigentlich so schönen und vielfältigen Kontinent Afrika ist nahezu die Hälfte der Staaten fragil, oder wie man auch sagt: „Failed States“, gescheiterte Staaten. Libyen, Mali, Sudan, Somalia. Überall eine Mischung aus Anarchie, Gewalt, Chaos. Wo die staatliche Macht fehlt, breiten sich Kriminelle aus. Und im Nahen und Mittleren Osten sieht es ja nicht besser aus. Syrien, Irak, Afghanistan. Krieg und Bürgerkrieg so weit das Auge reicht.

Menschen fliehen vor so viel Not und Elend: nur zu verständlich. Was würde ich denn machen, wenn ich als junger Familienvater in Aleppo lebte und Tag für Tag unter dem Bombenhagel leben müsste? Fliehen so schnell ich kann, so weit mich meine Beine tragen und Frau und Kinder mitnehmen. Dorthin, wo ich in Frieden leben kann.

So war es in 1990er Jahren, wo so viele Menschen aus dem Kosovo zu uns kamen. Und so ist es heute, wo so viele Iraker und Syrer zu uns kommen.

 

Die Aufforderung dieses Propheten aus Nazareth, den seine Eltern Jesus nannten, ist einfach und klar: „Was ihr einem von diesen meinen geringsten Geschwistern getan habt, das habt ihr mir getan.“ Mehr geht nicht. Darin steckt die alte Goldene Regel, älter sogar als das Christentum, die DNA der Menschlichkeit. Handle so, wie Du selbst in einer solchen Situation behandelt werden willst! Der Königsberger Philosoph Immanuel Kant nennt das später den „kategorischen Imperativ“. Es geht um einen Perspektivwechsel. Nicht nur zu schauen, wie es mir selbst geht, sicher und satt im Herzen Deutschlands, sondern den Blick zu weiten für die ferne, nahe Not des Anderen.

 

 

Mit der Goldenen Regel im Herzen ist alles eigentlich ganz einfach. Und doch so schwer. Drei Schritte sind in solchen Konflikten zu gehen:

 

1. Vorsorge

2. Konfliktbewältigung

3. Wiederaufbau

 

Erstens also Vorsorge.

Mit den großen, gewaltsamen Konflikten der Menschen ist es wie mit dem Gang zum Zahnarzt. Die beste Krankheit, der beste Konflikt ist derjenige, der erst gar nicht ausbricht. Und deshalb arbeiten Tausende von Menschen in der Entwicklungszusammenarbeit an vielen Orten in vielen Ländern Tag für Tag hart daran, dass Menschen Versöhnung lernen und Versöhnung leben. So wie Bernd Baumgärtner. Sein bescheidenes Wirken in Mitrovica, im Kosovo. Ein beeindruckender Versuch, zur friedlichen Zukunft dieses Landes ganz konkret beizutragen. Jugendliche lernen etwas, ein Handwerk. So können sie etwas für ihre Gesellschaft tun und sinnvoll wirken. Es scheinen „kleine Schritte“ zu sein, die dort getan werden. Hier Versöhnungsarbeit, hundert Meter weiter ein Attentat. Und doch sind diese kleinen Schritte entscheidend für das Wachsen von Frieden.

 

Zweitens: die Konfliktbewältigung.

Trotz all unserer Versuche und der harten Arbeit an Versöhnung gelingt es leider Gottes nicht immer, einen gewaltsamen Konflikt oder gar einen Krieg zu verhindern. Das erleben wir dieser Tage sehr schmerzhaft. Was dann noch zu tun ist, darüber scheiden sich die Geister. Die einen sagen: auch dann dürft ihr niemals militärisch eingreifen. Denn militärische Gewalt führt immer und notwendig zu einer weiteren Eskalation. Die anderen sagen: in einer extremen Zuspitzung eines Konfliktes kann es notwendig sein, dem Morden ein Ende zu setzen und dies im äußersten Fall auch mit Soldaten. So zu betrachten etwa im Norden Malis, wo nun seit jüngster Zeit auch Soldaten der Bundeswehr in einem – wie man sagt: robusten – Einsatz unterwegs sind. Manchmal muss man, um Leben zu retten, auch bereit sein, Gewalt einzusetzen. Muss man der Gewalt entschieden entgegen treten. Oder eben: „robust“.

Klar ist aber auch: dieser Militäreinsatz kann nie Frieden im umfassenden Sinne bringen, sondern bestenfalls eine kleine Atempause: Kontrahenten werden auseinander gehalten; die Waffen schweigen. So wird Raum geschaffen für Diplomatie und politische Verständigung und später hoffentlich: für Versöhnung zwischen ehemaligen Feinden. Übrigens höre ich das in meinen Gesprächen mit Soldaten immer wieder: „Unser Einsatz kann keinen Frieden schaffen“, sagen die Soldaten, „aber er kann ein Zeitfenster öffnen für Verhandlungen. Dann muss die Politik handeln.“

 

Und ebenso wichtig ist das Dritte: der Wiederaufbau.

Selbst wenn es gelingt, das dadurch in einem Land die Waffen schweigen: Danach muss mit aller Kraft auch der konstruktive Wiederaufbau beginnen. Es nützt wenig, Gaddafi in Libyen weg zu bomben, wenn anschließend ein Vakuum entsteht, in das nun islamistische Terroristen einziehen. Was dieses Land bräuchte, ist doch etwas ganz anders: stabile Strukturen, damit Menschen wieder in Frieden leben können.

 

Vorsorge, Konfliktbewältigung, Wiederaufbau:

In dieser Trias besteht die Hoffnung auf ein friedvolleres Zusammenleben der Völker. Und deshalb ist es gut, dass es solche Menschen gibt wie Bernd Baumgärtner. Damit aus dem Kosovo wieder das wird, wie es die Einheimischen nennen: ein Birnenland.

 

 

Damit wieder Frieden einkehrt in den gepeinigten Ländern Afrikas, des Nahen und des Mittleren Ostens bedarf es vor allem eines: den festen Willen und die feste Überzeugung vieler Menschen, Staaten, ja der Vereinten Nationen, dass Krieg als Mittel der Politik ausgedient hat. Dessen waren sich die Menschen vor nun 70 Jahren einig, als sie nach den Verheerungen des 1. und 2. Weltkriegs gemeinsam bekannten:

Nie wieder Krieg! Oder wie es der Ökumenische Rat der Kirchen damals (1945) sagte: „Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein.“ Oder wie es die damals gerade gegründeten Vereinten Nationen bekannten: „Krieg ist eine Geißel der Menschheit.“

Wo dies allen beteiligten Akteuren klar wird, ist eine Richtung, eine Vision angezeigt, die Leitplanken auch für das politische Handeln vorgibt. Dann muss der Einsatz militärischer Gewalt von der Völkergemeinschaft gemeinsam getragen werden. Gewaltsames Handeln nach außen kann nicht geduldet werden. Das Vorhalten bewaffneter Streitkräfte kann nicht mehr sein als das defensive Signal, sich zur Not selbst verteidigen zu können.

Dann ist unmissverständlich klar, dass der Einsatz von Gewalt immer nur eine „Ultima ratio“ sein kann, eine äußerste Möglichkeit, nur für den Fall, dass alle anderen Formen der Vermittlung und Verständigung versagt haben.

 

Ich denke an die wunderbare Vision des Dichters von Psalm 85: „Dass Friede und Gerechtigkeit sich küssen“.

 

Einer, der diese Vision eines gerechten Friedens klar vor Augen hatte, war der große Musiker John Lennon. In einem seiner bekanntesten Lieder aus den 70ern, „Imagine“, besingt er diese Vision:

 

„Stell Dir vor, es gäbe keinen Besitz mehr.

Ich frage mich, ob Du das kannst.

Keinen Grund für Habgier und Hunger,

Eine Menschheit in Brüderlichkeit.

Stell Dir vor, all die Menschen,

Sie teilten sich die Welt, einfach so!

Du wirst vielleicht sagen, ich bin ein Träumer,

Aber ich bin nicht der einzige!

Und ich hoffe, eines Tages wirst auch du einer von uns sein,

Und die ganze Welt wird eins sein“.

 

 

Stell Dir vor…

Imagine!

13.06.2016
Militärbischof Sigurd Rink