Verwandlung

Feiertag
Verwandlung
Über einen wunderbaren Begriff
27.03.2016 - 07:05
03.04.2016
Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein

Über die Sendung

Der auferstandene Jesus ist derselbe und doch nicht derselbe. Er ist verwandelt. Diejenigen, die ihm begegnen, sind dann auch nicht mehr dieselben. Ihre Botschaft: Siehe, Neues ist geworden! Wir werden verwandelt werden!

 

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Manche denken bei „Verwandlung“ zuerst an Franz Kafkas berühmte Erzählung; und haben spontan dann keine rechte Freude an dem Begriff: eines Morgens aufzuwachen und in ein riesiges Insekt verwandelt zu sein – eine ungemütliche Vorstellung! Anderen fällt sofort ein Märchen ein, Kalif Storch zum Beispiel: „Mutabor“ heißt da das Zauberwort, „ich werde mich verwandeln“. Der Gedanke geht bis in unsere Alltagssprache. Die Kinogängerin erinnert sich an ihr letztes großes Filmerlebnis und schwärmt: Ich bin eingetaucht in eine andere Welt; und bin verwandelt wieder herausgekommen.

Ich selbst denke bei „Verwandlung“ zuerst an ein Gedicht von Marie Luise Kaschnitz – obwohl das Wort selbst darin gar nicht vorkommt.

 

„Manchmal stehen wir auf

Stehen wir zur Auferstehung auf

Mitten am Tage

Mit unserem lebendigen Haar

Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.

Keine Fata Morgana von Palmen

Mit weidenden Löwen

Und sanften Wölfen.

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken

Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.

Und dennoch leicht

Und dennoch unverwundbar

Geordnet in geheimnisvolle Ordnung

Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.“ [1]

 

Einen besonderen Moment von Licht und Leichtigkeit erleben und sich verwandelt fühlen, heißt in dieser Sprache: Auferstehen. Das kann mitten an einem Tag im Gewohnten geschehen; mitten in diesem Leben findet Auferstehung statt.

 

Wir werden verwandelt werden, sagt der Apostel Paulus (1. Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 52). Für mich ist das einer seiner stärksten Sätze. Er bringt die Hoffnung auf den Punkt, die über den Tod hinausgeht.

Wir werden verwandelt werden. Mehr gibt es streng genommen nicht zu sagen über das, was nach dem Tod möglicherweise kommen wird. Niemand kennt sich jenseits dieser Grenze aus; es bleibt abzuwarten, was dort sein wird. Doch viele Menschen haben eine Vorstellung davon, wie ihr neues Leben nach dem Tod aussehen könnte.

Deutlich wird das zum Beispiel in dem Buch „Dieser Mensch war ich“. Christiane zu Salm, die Herausgeberin, hat in ihrer Arbeit als Sterbebegleiterin viele todkranke Menschen kennengelernt. Und sie hat ihnen vorgeschlagen, mal einen „Nachruf auf das eigene Leben“ zu schreiben. Die Idee war: Ein solcher Nachruf könnte bei den schwerkranken Frauen und Männern womöglich etwas dazu beitragen, eine Bilanz zu ziehen und sich innerlich aufs Sterben vorzubereiten. Offenbar hat diese Idee getragen; davon zeugen die Texte, die dann entstanden sind. Unter anderem geht es da auch um die Frage, ob die Hoffnung auf ein Jenseits eine Rolle spielt. Und wenn ja, was man sich denn wünscht und worauf man hofft.

 

„Ach, als Kind sind wir sonntags immer im Birkenwald spazieren gegangen, das hat mir immer so gefallen. Die weißen Stämme und das Hellgrün, davon war ich immer ganz begeistert. Muddel würde sagen..., oder: Mein Vater hätte das so gemacht..., das sind Worte, die mir dann dabei einfallen. Und dann merke ich, meine Eltern und Großeltern, alle sind in Wirklichkeit nicht verstorben. Sie sind nur nicht da, aber sie leben weiter in meinem Kopf und in meinem Herzen. Ich glaube, ich werde sie nach dem Tod wiedersehen. Was für ein Trost.“ [2]

 

Dass es ein großes Wiedersehen mit geliebten Verstorbenen geben wird, diese Vorstellung teilen sehr viele Menschen. Und daraus schöpfen sie Trost und Hoffnung: wieder zusammen sein, sich alles erzählen können und womöglich auch aussprechen können, was hier in diesem Leben ungesagt geblieben ist.

Mancher rechnet sogar mit der Möglichkeit, dann endlich leben zu können, was hier ungelebt geblieben ist.

 

Ich hätte mir meine Ängste bewusst machen sollen. Denn nur so kann man es ja überwinden, das, was man Bindungsangst nennt. Wahrscheinlich habe ich auch die eine oder andere Frau verletzt, indem ich sie nie so richtig an mich habe herankommen lassen...

Vielleicht lerne ich die echte Liebe im Jenseits kennen. Es ist nicht ausgeschlossen. Vielleicht tue ich mich dort leichter mit der Nähe. Wer weiß.“ [3]

 

Andere machen sich Gedanken über die Frage, ob sie wohl wiederkommen werden – und in welcher Gestalt.

 

„Ich könnte mir vorstellen, in der Gestalt des Engels, der auf meinem Bettschrank steht, wiederzukommen. Zunächst erhoffe ich mir, dass er mich schützt, auf- und mitnimmt, wenn ich gehe. Auf diese Weise hätte er später gewisse Teile von mir, Denkweisen und auch Gefühle. Und dieser Engel beobachtet dann vielleicht manches und darf an bestimmten Dingen teilhaben. Er kann Schönheiten der Natur erleben, mit nackten Füßen im Wasser am Strand sitzen und den Wellengang verfolgen. Diese Dinge würde ich mir rauspicken, Angenehmes, was mir im Leben Spaß gemacht hat...

Außerdem könnte ich vielleicht in der Gestalt des Engels ein paar Fähigkeiten behalten, die anderen und mir gut tun. Ich hatte immer schon versucht, meine Flügel über meine Kinder auszubreiten und aufzupassen, dass ihnen nichts Böses geschieht.“ [4]

 

Das Schönste, das Menschen auf der Erde erleben, soll der Stoff sein, aus dem ihr Himmel ist. Und das Schlimme, unter dem sie hier leiden, soll dort ein für alle Mal überwunden sein.

Wir werden verwandelt werden, sagt der Apostel Paulus. Und er stellt diesem starken Satz eine ganze Reihe anderer Sätze zur Seite, um seine Hoffnung über den Tod hinaus deutlich zu machen und für sie zu werben. Auferstehen in ein anderes Leben; verwandelt werden in eine neue Existenz – wie lässt sich das beschreiben? Am besten, indem man sprechende Vergleiche findet und mit Worten Bilder wachruft.

 

„Was säst du? Nicht den zukünftigen Leib säst du, sondern ein nacktes Korn, ein Weizenkorn etwa oder ein anderes Korn. Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er es gewollt hat, jedem Samen seinen besonderen Leib.

Es gibt himmlische Körper, und es gibt irdische Körper. Doch anders ist der Glanz der himmlischen als der der irdischen. Anders ist der Glanz der Sonne als der des Mondes.

So verhält es sich auch mit der Auferstehung der Toten: Gesät wird in Vergänglichkeit, auferweckt wird in Unvergänglichkeit. Gesät wird in Niedrigkeit, auferweckt in Herrlichkeit. Gesät wird in Schwachheit, auferweckt in Kraft. Gesät wird ein natürlicher Leib, auferweckt wird ein geistlicher Leib.

Und wie wir das Bild des Irdischen getragen haben, so werden wir auch das Bild des Himmlischen tragen.“

(1. Korintherbrief, Kapitel 15, aus den Versen 35 bis 49)

 

Ich höre das und möchte mit dem Herzen Ja sagen und Amen; und möchte es dabei möglichst auch mit dem Kopf verstehen.

Was ist wohl ein „geistlicher Leib“? Das wird ein Geheimnis bleiben. Aber man kann ihm etwas auf die Spur kommen. Der Begriff „geistlicher Leib“ ist eine Erfindung des Paulus. Er hat diesen neuen Ausdruck geschaffen, damit er das neue Leben in menschliche Worte kleiden kann; und damit er zusammenbringen kann, was für ihn untrennbar zusammengehört: Geist und Gestalt. Organisch miteinander verbunden werden sie „auferweckt in Unvergänglichkeit“ und werden sie „das Bild des Himmlischen tragen“; ja, eben als ein geistlicher Leib.

Für diese Wortschöpfung werde ich Paulus immer dankbar sein; sie ist genial, finde ich.

Alles, was wir Menschen empfinden, unser ganzes Leben lang, empfinden wir in dem Körper, in dem wir stecken; als der Körper, der wir sind. Ich lasse etwas nah an mich heran und lasse mich berühren. Ich halte mir eine Sache vom Leib. Ein Schmerz trifft mich. Ich genieße den Augenblick. Jede unserer Erfahrungen ist leibbezogen.

Daher möchte ich „Verwandlung“ nur so denken und so erhoffen, dass sie Geist und Gestalt zusammen erfasst, dass sie eine ganz neue Identität schafft. Nach meinem Tod ein Tropfen im Ozean zu sein oder ein Stern am Himmel, ist mir zu wenig. Ich möchte auch kein Schmetterling und kein Baum werden – bei allem Respekt und bei aller Liebe zu ihnen. Es ist nicht das, was einem gelebten Leben als dieser Mensch auf dieser Erde gerecht wird, finde ich.

Deshalb bin ich Paulus dankbar für seine wunderbare Wortschöpfung: auferweckt wird ein geistlicher Leib. Was immer das genau sein wird.

 

In allem, was Paulus über Auferstehung und Verwandlung sagt, bleibt er auf die Auferstehung Jesu bezogen. Sie steht im Zentrum. Er steht im Zentrum, Christus, der am dritten Tage auferweckt worden ist (1. Korintherbrief, Kapitel 15, Vers 4). So heißt es in der Erstüberlieferung, die Paulus selbst empfangen hat von denen, die vor ihm waren. Aus dieser Überlieferung heraus entwickelt Paulus dann seine eigenen Gedanken. So bezeichnet er Christus als den „Erstling der Gestorbenen“, als den, der den Anfang gemacht hat. Dieser eine hat die Tür aufgestoßen für die vielen, die ihm folgen in ein neues, unvergängliches Leben. „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist das neue Schöpfung“, sagt Paulus. „Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“

Im Blick auf ihn selbst ist das nicht nur ein Herzstück seiner Verkündigung; es ist das Herzstück seiner Biografie. Man könnte sagen: Der Alte ist vergangen, ein Neuer ist geworden.

Weder hatte Paulus zu den Jüngern Jesu gehört noch zur urchristlichen Gemeinde. Im Gegenteil, er hatte sie hart bekämpft und verfolgt und war darin offenbar erfolgreich gewesen. Dann aber wurde er zu einem großen Apostel, zu einem Botschafter Christi. Durch seine Verkündigung hat er bestehende Gemeinden geprägt und neue hervorgerufen. Paulus selbst berichtet nur in wenigen knappen Sätzen von seiner Lebenswende. Und für das Schlüsselerlebnis hat er nur ein einziges griechisches Wort: óphthé – ich habe ihn gesehen, er ist mir erschienen. Das genügt; darin liegt alles. Die Begegnung mit dem auferstandenen Christus macht aus Paulus einen anderen, einen neuen Menschen.

Er selbst würde dieses Ereignis übrigens niemals Verwandlung nennen. Denn für Paulus geschieht Verwandlung nur an Menschen, die wirklich gestorben sind und die wahrhaftig auferstehen. An Christus ist sie geschehen. Und Paulus hat ihn gesehen.

 

„Er ist mir erschienen; ich habe ihn gesehen.“ Wie oft werden die Jünger und Jüngerinnen Jesu das wohl gesagt haben im Lauf ihres Lebens? Am Anfang haben sie es fassungslos geflüstert; oder auch laut herausgerufen. Beides stelle ich mir vor, wenn ich lese, wie die Evangelien später davon erzählen. In allen Berichten, in denen der auferstandene Jesus erscheint, erschrecken die, die ihn sehen; und sie fürchten sich; oder sie erkennen ihn nicht. Ein starkes Phänomen. Sicher, die Begegnung mit dem Auferstandenen muss die Seinen überwältigt haben; und sie hat wohl immer etwas Unfassbares behalten. Doch das allein kann es nicht sein. Irgendetwas an ihm muss zuerst ganz fremd und auch furchterregend gewesen sein. Es braucht Zeit, den wiederzuerkennen, der einem eigentlich doch so vertraut ist.

Womöglich, denke ich, haben die Jüngerinnen und Jünger das gesehen, was Paulus den „geistlichen Leib“ nennt; eine verwandelte Gestalt. Jesus ist derselbe und doch nicht derselbe.

Ich finde etwas Ähnliches in manchen Träumen: Eine Person, die darin auftaucht, sieht ganz anders aus als die, die ich im Wachzustand vor mir sehe oder die mir dann tatsächlich gegenübersteht. Trotzdem erkenne ich in dem Traum genau, um wen es geht; und sehe vielleicht sogar etwas von diesem Menschen, das die Realität so gar nicht hergeben kann. Und ich ahne etwas von Verwandlung.

Dabei weiß ich, erklären kann ich damit nichts. Die Begegnungen mit dem auferstandenen Jesus werden für immer etwas Unfassbares behalten. Und doch kann ich mich ein wenig hineindenken und hinein phantasieren in das, was Auferstehung und Verwandlung bedeuten.

 

Im Johannesevangelium ist es Maria aus Magdala, die als Erste zum Grab Jesu geht. Sie steht da allein und weint.

 

„Sie haben meinen Herrn fortgebracht. Und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben!“

Nach diesen Worten drehte sie sich um und sah Jesus dastehen. Sie wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus fragte sie: „Frau, warum weinst du? Wen suchst du?“ Maria dachte: Er ist der Gärtner. Darum sagte sie zu ihm: „Herr, wenn du ihn fortgeschafft hast, dann sage mir, wo du ihn hingelegt hast. Ich will ihn zurückholen.“ Jesus sagte zu ihr: „Maria!“ Sie wandte sich ihm zu und sagte auf Hebräisch zu ihm: „Rabbuni!“ (Das heißt: „Lehrer.“) Jesus sagte zu ihr: „Halte mich nicht fest! Ich bin noch nicht zum Vater hinaufgestiegen. Aber geh zu meinen Brüdern und richte ihnen von mir aus: ‚Ich gehe hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.’“ Maria aus Magdala ging zu den Jüngern. Sie verkündete ihnen: „Ich habe den Herrn gesehen!“ Und sie erzählte, was er zu ihr gesagt hatte.

(Johannesevangelium, Kapitel 20, Verse 13 bis 18)

 

Als Leser weiß ich von Anfang an, wer vor Maria steht; und bin doch mit ihr in Unklarheit.

Das Ganze hat etwas Schwebendes. Erst als Jesus sie bei ihrem Namen ruft, erkennt sie ihn. Und Maria möchte ihn natürlich berühren, ihn vielleicht umarmen und so womöglich zurückholen. Sie darf ihn nicht festhalten, sagt er. Sie muss ihn loslassen. Sein Weg führt ihn woanders hin. Und auch ihr Weg ist jetzt ein anderer. Sie hat einen Auftrag: Sie soll etwas ausrichten und die anderen damit anstecken.

Ein paar Tage vorher, beim Abschied von den Seinen, hatte Jesus gesagt: „Ja, ihr werdet traurig sein; aber eure Trauer wird sich in Freude verwandeln.“ (Kapitel 16, Vers 20)

Jetzt geht Maria ihren Weg irgendwo dazwischen, mit ganz gemischten großen Gefühlen.

Doch offenbar wird die Freude Schritt für Schritt stärker.

 

„Manchmal stehen wir auf

Stehen wir zur Auferstehung auf

Mitten am Tage

Mit unserem lebendigen Haar

Mit unserer atmenden Haut.

Nur das Gewohnte ist um uns.

...

Und dennoch leicht

Und dennoch unverwundbar

Geordnet in geheimnisvolle Ordnung

Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.“ [5]

 

 

Musik dieser Sendung:

(1) + (2) Tine Thing Helseth, Storyteller. Warner Classics 2011 (T. 5; 4)

(3) – (7) Daniel Hope, Spheres. Deutsche Grammophon 2013 (T. 15; 13)

 

Literaturangaben:

1) Marie Luise Kaschnitz, Gedichte, insel taschenbuch 2803, Frankfurt a.M. 2002, S. 101f

2) Christiane zu Salm, Dieser Mensch war ich. Nachrufe auf das eigene Leben, Goldmann, München 2013, S. 247

3) AaO, S. 126f

4) AaO, S. 138

03.04.2016
Pfarrer Reinhold Truß-Trautwein