Gottesdienst vom Evangelischen Kirchentag Stuttgart

Gottesdienst vom Evangelischen Kirchentag Stuttgart
07.06.2015 - 10:05
07.06.2015
Pastorin Nora Steen

Predigt von Pastorin Nora Steen

 

Wisst ihr was? Ihr seht toll aus!

 

So viele strahlende Gesichter und ich ahne es – nur so viele müde Füße heute Morgen. Und jetzt, hier in Stuttgart und bei Ihnen zuhause, nehmen wir uns Zeit für Salomos Traum. Ich will von ihm wissen, wovon er träumt. Hier und jetzt. Salomo, einen Wunsch hast du frei, und du könntest dir alles wünschen. Reichtum, Macht, ein gutes Leben.

 

Aber du denkst nicht an dich. Du denkst an die, deren Herrscher du sein sollst. Und du weißt, solange Menschen ihrer Würde beraubt werden stimmt etwas nicht. Das war damals vor dreitausend Jahren so, und das ist heute nicht anders.

 

Schaust du dir unsere Gesellschaft heute an, siehst du vielleicht die Frauen, Männer und Kinder, die von weit her nach Europa kommen und ohne Gepäck reisen. Die ihre Tage in Flüchtlingsheimen verbringen, wo sie zwar ein Bett haben, aber kein Zuhause. Du siehst vielleicht die vielen Jugendlichen, die keine Perspektive für sich in diesem Land sehen, die länger bei ihren Eltern leben als ihnen gut tut. Weil niemand auf sie wartet, höchstens die Sachbearbeiterin im Jobcenter; und die hat auch keine gute Nachricht für sie.

 

Und du Salomo nimmst diese Bilder mit in deine Träume. Du kannst nicht ruhig schlafen. Solange Menschen wie Nummern behandelt werden. Im Bundesamt für Migration und bei der Agentur für Arbeit. Dein Name, Salomo, bedeutet Frieden. Schalom. Und Du weißt, in deinem Land wird es erst dann Frieden geben, wenn jede und jeder sicher und in Würde leben kann.

 

Einen Wunsch hat Salomo frei, und er wünscht sich von Gott ein hörendes Herz. Hören; sich den Klängen dieser Welt hingeben. Den dröhnenden Bässen, den zarten Oberstimmen. Ähnlich wie eben beim Körpergebet: die Welt spüren.

 

Gerade heute Morgen genieße ich diesen Wohlklang. Viertausend Bläserinnen und Bläser.

 

 

Es sind Friedenschöre, die hier auf dem Cannstatter Wasen erklingen. Und weil sie in ihrer Schönheit sicherlich nicht nur ihr Herz berühren, sondern mein Herz auch, kann ich die bitteren Töne, die Schmerztöne, die Zwischen- und Untertöne, die meist nicht die lautesten sind, nicht ausblenden. Ich weiß, das ist noch kein Frieden, wenn ich am Strand Siziliens mit einem guten Rotwein den Sonnenuntergang genieße, und dabei verdränge, dass jenseits meines Wohlstandshorizonts Flüchtlinge jämmerlich sterben. Die Wellen ziehen ihre Geschichte, ihre Hoffnungen mit sich in die Tiefe. Gut, das gerade gestern über dreitausend Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet worden sind!

Diejenigen, die ihre Sehnsucht nach einem sicheren Leben in Europa mit dem Tod bezahlen, gehen uns etwas an.

 

Hinhören! Hinhören, mit Sinn, Herz und Verstand. Salomo weiß, dass Frieden mit zarten, leisen Begebenheiten beginnt. Grad gestern Morgen erzählte mir eine Freundin, dass sie beim Abwaschen im Gemeinschaftsquartier nach dem Frühstück zwei syrische Flüchtlinge kennengelernt hat. Beim Abwaschen haben sie sich unterhalten, die beiden leben seit ein paar Wochen hier in Stuttgart. Und nun helfen sie ehrenamtlich beim Kirchentag mit. Und das mit vollem Eifer. Meine Freundin war ganz erfüllt von dieser Begegnung. Da war etwas aufgebrochen, da war eine Grenze gefallen. Da ist etwas Neues entstanden. So, kann Frieden beginnen. Oft ganz klein, alltäglich, unscheinbar. Aber: er kann über sich hinauswachsen.

 

Salomos Traum vom Frieden wird während seiner Regierungszeit Wirklichkeit. Er sorgt dafür, dass die Frauen und Männer in Juda und Israel in Sicherheit wohnten. Eine jede unter ihrem Weinstock, ein jeder unter seinem Feigenbaum.

 

Und auch, wenn das heute angesichts der so hoffnungslos verfahrenen Situation im mittleren Osten so unerreichbar scheint: hinter dieses Friedensbild können wir nicht zurück. Nehmen wir Salomo nicht als eine romantisierte Kunstfigur einer vergangenen Zeit, sondern als unbequemen Weisen ernst! Und sein Schlüssel zum Frieden ist ganz einfach: er hört auf sein Volk. Er bezieht alle mit ein. Jede und jeden nach seinen eigenen Fähigkeiten. Amtsleute. Tischlerinnen. Bauern. Priesterinnen.

Niemand ist überflüssig. Weinstock und Feigenbaum, für jeden ist Platz. Jede wird gebraucht. Leben in Fülle ist für alle möglich.

 

Wie kann sie also aussehen? Die Gelebte Version des Salomonischen Friedens?

 

Hier auf dem Kirchentag haben wir schon davon gekostet. Über viertausend Stuttgarterinnen und Stuttgarter haben ihre Wohnungen für fremde Gäste geöffnet. 200 Schulen – Dankeschön liebe Stuttgarterinnen und Stuttgarter! – und sowieso, ihr wart großartige Gastgeber; danke.

200 Schulen wurden zu Gemeinschaftsquartieren. Wir sind zusammengerückt, fünf Tage lang. Junge und alte, an Geld oder Bildung ärmere und reichere, alle nebeneinander. Auf Isomatten, Feldbetten, Schlafsofas. Nicht immer Geräuscharm, jedenfalls bei uns in der Burgschule in Esslingen war das so, aber: herzwarm.

 

Mit 25 Leuten in einem Klassenzimmer schlafen, da helfen manchmal auch keine Ohrenstöpsel, und die Augenringe sind morgens größer als gewöhnlich. Aber das macht nichts. Auch ungeschminkt sind alle schön. Weil sie sich vertrauen und mehr von sich zeigen, als gewöhnlich. Alt und Jung erzählen sich nachts um halb Eins, was sie am Tag erlebt haben. Hier im Kleinen, zwischen Luftmatratzen und dem Frühstück, schien in den letzten Tagen auf, wovon Salomo träumt. Eine Gesellschaft, die Raum hat für alle und für jeden. Menschen, die aufeinander Acht geben, sich zuhören. Klar ist das anstrengend. Und die Gemeinschaftsquartiere werden morgen wieder Klassenzimmer sein, Betten im Gästezimmer sind vielleicht schon abgezogen.

Heißt das, dass alles wie vorher ist? Was wäre denn, auch wir träumten zwischen Nacht und Tag, zwischen Kirchentag und Alltag, und Gott sagte: vordere! Und wir hätten ihn frei, diesen einen Wunsch! Was wäre, wir wünschten uns ein hörendes Herz, wie Salomo?

 

Wenn du mit dem Herzen hörst, dann lässt du dich berühren von denen, die ein Zuhause suchen. Du kannst erst dann ruhig schlafen, wenn sich auch deine Nachbarn im Flüchtlingsheim nebenan willkommen fühlen. Wenn du mit dem Herzen hörst, dann glaubst du an das Gute, ohne gutgläubig zu sein. Du bist klug genug zu wissen, auf dieser Erde gibt es für alle einen Platz und eine Aufgabe. Niemand ist dazu geboren auf der Flucht zu sein.

Wenn du mit dem Herzen hörst dann siehst du die, die durch das Netz unserer Wohlstandsgesellschaft gefallen sind. Du entdeckst ihre Talente und du suchst mit ihnen nach einer Perspektive, die ihnen Sinn im Leben gibt. Salomos Traum vom hörenden Herzen gibt und den Vorgeschmack auf einen Frieden, der realisierbar ist, weil er im Kleinen beginnt. Nicht nur die Politiker beim G7-Gipfel, wir alle stehen in der Verantwortung. An unseren Orten, mit unseren Möglichkeiten.

 

Trauen wir Gott doch mehr zu, als ein bisschen Sozialromantik. Einen Frieden, der die Welt umfasst. Amen.

07.06.2015
Pastorin Nora Steen