Aaron

Morgenandacht
Aaron
Die Gefahr, Populist zu werden
16.07.2015 - 06:35
16.06.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken

Auf was hört ein Mensch, der Verantwortung trägt? Überall dort, wo es etwas zu entscheiden gibt, ist die Antwort auf diese Frage wichtig. In der Politik, im Beruf oder Ehrenamt. Da gibt es mehrere Möglichkeiten: Er oder sie hört auf die Grundsätze, die man sich in einer Gruppe gegeben hat, geschriebene oder ungeschriebene. Oder zum zweiten auf das Gewissen. Schließlich gibt es noch ein drittes:  Man hört auf die Stimmung im Volk, in der Gruppe. Alles drei ist wichtig.  Aber mit welchem Gewicht?

 

Die Frage ist uralt. Vor mehr als dreitausend Jahren musste sich Aaron dieser Frage stellen, der Bruder von Mose. Er musste sich entscheiden, als er vor einem Scherbenhaufen stand.  Aaron wählt Nummer drei, die allgemeine Stimmungslage und sagt: "Ich habe nur gemacht, was das Volk wollte.“

 

Es war in der Wüste, am Fuß des Berges Sinai. Da lagerte Aaron mit dem Volk Israel nach der Flucht aus Ägypten. Ihr Anführer Mose hatte die Israeliten bis hierher gebracht, mit Aarons Hilfe. Nun brauchte Mose wieder Weisungen von Gott. Und stieg auf den Berg, wo er Gott begegnen sollte. Aaron war sein Stellvertreter. Er blieb mit dem Volk zurück.  Mit seinen glänzenden rhetorischen Fähigkeiten, seinem Gespür für Stimmungen und Gefühlslagen war Aaron schon in Ägypten wichtig gewesen. Aaron hatte mit dem Pharao verhandelt. Er hatte schließlich den Fluchtplan erklärt und umgesetzt. Wenn es um eine gute Rede ging, war Aaron gefragt.

 

Aber jetzt, am Sinai, waren die Israeliten am Tiefpunkt. Die Versorgung war trostlos, Mose irgendwo weit weg auf dem Berg und kein Ende der Wüstenwanderung in Sicht. Woran sollte man sich halten? Es wurde die Stunde des Aaron mit seinem Gespür für die scheinbar wahren Bedürfnisse der Leute. Er ließ die Israeliten ihren goldenen Schmuck opfern. Daraus schmolz er eine Götter-Figur in Form eines Stiers. Und zur Feier des Tages organisierte er ein Fest. Was man so braucht, um die Leute bei Laune zu halten. Auf dem Höhepunkt des Festes kehrte Mose zurück, und vor Zorn über Aaron und das Volk zerbrach er die Tafeln mit den zehn Geboten, die er auf dem Berg erhalten hatte.

 

Die Geschichte des Aaron lässt sich auch als Geschichte eines Populisten lesen. Er tat, was Populisten bis heute tun: Sie sind volksnah. Sie leben von Unzufriedenheit. Orientieren sich an dem, was scheinbar die meisten wollen. Und sie präsentieren einfache Lösungen. Aaron wird später noch einmal Volkes Stimme aufgreifen. Er wird kritisieren, dass Mose mit einer Ausländerin verheiratet ist, einer Frau aus Äthiopien.

 

Zum Erfolg von Populisten gehört aber auch die andere Seite: Nämlich Leute, die bereit sind, auf eingängige Parolen zu hören. Es ist ja auch verführerisch, Problemen zu entfliehen. Sich abzulenken und zu unterhalten ist angenehmer, als mühselig Argumente von verschiedenen Seiten abzuwägen und geduldig nach Lösungen zu suchen.

 

Die Geschichte von Aaron, Mose und dem Volk Israel zeigt für mich Grundbedingungen verantwortlichen Handelns. Dafür sind natürlich überzeugende Persönlichkeiten gefragt. Es werden immer Leute wie Aaron gebraucht, die reden können, die Ausstrahlung haben, die Stimmungen wahrnehmen und verstehen. Wichtige Begabungen für Frauen und Männer mit Verantwortung. Aber wehe, ihnen fehlt das Korrektiv, der Ausgleich. Nämlich das Gewissen und eine ethische Gesinnung. Man soll den Leuten zwar aufs Maul schauen, ihnen aber nicht nach dem Mund reden.

 

Klare, verlässliche Orientierungen für das Zusammenleben sind nötig. Bis heute stehen die zehn Gebote, die Mose vermittelt hat, für die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen, bei der Wahrheit zu bleiben und die Rechte der Mitmenschen zu achten. Gerade die der Schwächeren. Das ist nicht immer populär.

16.06.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken