Nicht alle Kinder hier machen Ferien

Morgenandacht
Nicht alle Kinder hier machen Ferien
Begegnungen mit Flüchtlingen auf der griechischen Insel Lesbos
18.07.2015 - 06:35
16.06.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken

Im Urlaub hat man es gern idyllisch. Ein Elendsquartier neben der Unterkunft findet wohl keiner schön für Familienferien. Im Urlaub will man vor allem Schönes sehen und Schweres hinter sich lassen. Auch wenn eigentlich jeder weiß: kein Ort der Welt hat nur eine Postkartenansicht.

 

Ich hab allerdings erlebt: Ausgerechnet ein Blick auf die Schattenseiten des Lebens kann zu einem wunderbaren Urlaub gehören. Ich verdanke diese Einsicht Iannis und Daphne. Das Ehepaar war unser Gastgeber auf der griechischen Insel Lesbos. Die beiden betreiben ein Hotel mit Ferienwohnungen für Familien, die meisten kommen aus Deutschland. An klaren Tagen schaut man vom Hotelstrand zum Ida-Gebirge aufs türkische Festland. Für die Ferienkinder zwischen fünf und fünfzehn Jahren werden das Insel-Ferien wie im Bilderbuch: Joghurt mit Honig frühstücken unter einem uralten Feigenbaum. Der streckt seine Zweige so tief auf den Boden, dass man seinen Kakao auf einem dicken Ast sitzend trinken kann. Ab und zu schaut die Schildkröte Mathilda vorbei, die sogar Treppenstufen klettern kann. Morgens lesen die Kinder den Eltern vom Schwarzen Brett vor, was Iannis und Daphne täglich organisieren. Mal geht es zu einer versteckten Bucht, von der aus man in eine Meereshöhle schwimmen kann. Oder man wandert durch Olivenhaine zu einem römischen Aquädukt und streichelt unterwegs die Esel.

 

Eines Tages steht am Schwarzen Brett: „Treffpunkt 16 Uhr auf der Wiese beim Hotel zum Gespräch und Fußballturnier mit Flüchtlingen“. Iannis erklärt, dass immer wieder durch die Meerenge Bootsflüchtlinge auf die Insel kommen. Die meisten fliehen aus Afghanistan über den Iran und die Türkei. Viele sind fast noch Kinder. Sie werden in ein Lager ins Inselinnere gebracht und sind dort oft viele Jahre, ohne Perspektive, ohne Aussicht, als Flüchtlinge anerkannt zu werden, arbeiten oder ausreisen zu können. In den Wintermonaten gehen Daphne und er einmal die Woche ins Lager, zum Reden und zum Griechisch-Unterricht. Eine Hotelangestellte töpfert und werkelt ab und zu ihnen. Und jetzt, im Sommer, laden Iannis und Daphne ins Hotel ein zum Fußballturnier.

 

Bevor es losgeht, setzen sich alle auf die Terrasse zum Kennenlernen. Die jungen Männer sind zwischen 15 und 25 Jahre alt. Eine der deutschen Mütter aus Berlin kann Farsi übersetzen, die persische Sprache Afghanistans. Die Fragen und Antworten gehen ein bisschen holprig. Manchmal nicken die Flüchtlinge auch nur. Zum Beispiel, als die deutschen Kinder fragen, ob sie Heimweh hätten nach ihren Familien. Oder ob sie Angst hatten bei der gefährlichen Überfahrt. Ein junger Mann erzählt, dass er seit sieben Jahren im Lager ist. Er will arbeiten und nach Europa, aber er kann nur ab und an für ein bisschen Taschengeld bei der Olivenernte helfen. Ziemlich übergangslos fangen dann Flüchtlinge und Ferienkinder an zu kicken in gemischten Mannschaften. Und es stimmt, was Iannis sagte, der Fußball verbindet für einen heißen Nachmittag.

 

Natürlich ändert das nichts grundsätzlich an der schlimmen Lage, in der die Flüchtlinge sind. Sie muss politisch und humanitär dringend gelöst werden. Und doch bedeutet der Nachmittag viel. Den jungen Leuten aus dem Lager, die gern wieder kommen wollen. Wegen der Abwechslung. Vielleicht auch, weil ihre Stimmen mit großem Ernst gehört wurden. Auch die deutschen Kinder haben viel begriffen. Der nächste Ausflug ging auf einen Berg, gekrönt von einer kleinen weißen orthodoxen Kapelle, sie ist dem Propheten Elias gewidmet. Ein paar Eltern und Kinder haben Kerzen angezündet. Ein Mädchen hat dabei gesagt: Ich denke an die Kinder, die nicht für die Ferien hier sind.

16.06.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken