Der äußere Mensch verfällt, der innere wird von Tag zu Tag erneuert

Morgenandacht
Der äußere Mensch verfällt, der innere wird von Tag zu Tag erneuert
Zur Foto-Ausstellung „The Brown Sisters“
13.07.2015 - 06:35
16.06.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken

Wenn Besucher zu Tränen gerührt aus einer Foto-Ausstellung kommen, dann vermutet man Bilder aus Krisen- oder Kriegsgebieten.  Aber nein: Was viele Betrachter und auch mich bewegt, als ich die lange Ausstellungs-Wand entlang gehe, sind Familienbilder, vierzig Schwarz-Weiß-Fotos hintereinander. Sie zeigen einzig und allein vier Schwestern, immer als Gruppenbild: „The Brown Sisters“, die Schwestern Brown. Der amerikanische Fotograf Nicholas Nixon hat die vier zum ersten Mal neunzehnhundertfünfundsiebzig  fotografiert. Aus einer Laune heraus, wie er sagt. Und dann jedes Jahr, zuletzt zweitausendvierzehn. Die vier Schwestern, darunter seine Ehefrau, stehen da, immer in der gleichen Reihenfolge, mit wechselnden Hintergründen und schauen den Fotografen ruhig an.

 

Vierzig Momentaufnahmen aus vierzig Jahren. Die Schwestern waren auf dem ersten Bild zwischen fünfzehn und fünfundzwanzig. Natürlich sehen sie auf den letzten Bildern viel älter aus. Mit fünfundsechzig hat man Linien und Falten und einen anderen Blick. Man spürt die Macht der Zeit über das Leben. Wie vergänglich und endlich Menschen sind. Sie werden älter, und irgendwann werden sie auch sterben. Der Fotograf Nicolas Nixon meint dazu: „Wir lachen darüber. Aber jeder von uns weiß, dass ich das ernst meine: Ich werde mit der Serie für immer weitermachen, bis ich nur noch drei von ihnen fotografiere, nur noch zwei, nur noch eine. Die Frage ist, was passiert, wenn ich in der Mitte verschwinde. Aber das finden wir dann heraus."[i]  Ich finde: Der Mann hat Mut und Humor beim Nachdenken über die eigene Endlichkeit.  Es sind Fragen, die jeder Mensch für sich beantworten muss  - und die gleichzeitig grundlegende Menschheitsfragen sind, die Fragen aller Religionen: Was vergeht? Was bleibt, was bleibt sogar ewig?

 

Auf den vierzig Fotos gibt es etwas, was bleibt: Jede einzelne der Frauen sieht sich nach all den Jahren ähnlich. Die Bilder geben nicht preis, was sie über die Zeit hinweg erfahren haben, wie sie geliebt und gelitten haben.  Aber man erkennt sie. Sie sind sich selbst treu geblieben. Man sieht auf den Fotos etwas von der Würde des Individuums, das nichts mit Jahren oder dem Alter zu tun hat.

 

Für mich sind diese Bilder wie ein Kommentar zu Worten des Apostels Paulus, der einmal geschrieben hat: „Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert.“

 

Auf den Fotos gibt es noch etwas, was nicht nur bleibt, sondern noch wächst von Jahr zu Jahr. Man sieht es ganz deutlich. Auch wenn die Schwestern auf jedem Bild nur minimal anders stehen, mal mehr oder weniger Abstand zwischen ihnen ist und sie stets ernst schauen: Ihre Liebe ist gewachsen. Man spürt deutlich, wie sich die Beziehungen zwischen ihnen vertieft haben, inniger geworden sind, es sind liebevolle Familienbande. Man sieht, was Paulus gemeint hat: Der äußere Mensch mag verfallen, der innere wird von Tag zu Tag neu, er wächst.

 

Das hoffen Christen: dass die Beziehungen mit Gott, mit Christus, mit den Menschen, die wir lieben, über die eigene Lebenszeit hinausreichen werden. Sie fangen in den Jahren dieses Lebens an: Da, wo man sich selbst treu ist, da, wo man verbunden ist mit anderen. Wunderbar, dass man das manchmal spürt und sieht, wie auf den Fotos der Schwestern Brown.

16.06.2015
Pfarrerin Heidrun Dörken