In meinen Schuhen

Morgenandacht
In meinen Schuhen
06.02.2017 - 06:35
05.02.2017
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx

Sind Sie schon fertig für den Tag? Gestiefelt und gespornt? Ein paar warme Stiefel sind in diesen Wochen Gold wert – als Schutz gegen die ungemütliche Kälte, gegen Schneematsch und Pfützen. Und abends freut man sich dann, sie wieder auszuziehen – in gemütliche Stricksocken zu schlüpfen und endlich wieder die Füße auf dem Boden zu spüren. Aber auf meine Stiefel möchte ich nicht verzichten – sie gehören ins Schuhregal wie die Laufschuhe, die eleganten Hochhackigen, die Turnschuhe und die Sandalen. Mehr braucht es eigentlich nicht – keine dreißig Paar im Regal. Ich weiß ja, wie viele Menschen glücklich wären, wenn sie überhaupt ein paar passende Schuhe hätten. Die Jungs mit den durchgelaufenen Turnschuhen auf der Flucht. Die Kinder in zu klein gewordenen Sandalen – mit löchrigen Socken in Kälte und Regen.

 

Jahrelang habe ich nicht viel über Schuhe nachgedacht. Was kaputt war, wurde ersetzt; Schuhkauf ging meist schnell, man hat so seine Gewohnheiten. Erst seit mein Rücken manchmal aufmuckt, schaue ich mehr auf meine Füße. Ob ich fest stehe, ob ich sicher unterwegs bin. Ein paar wirklich gute Schuhe machen den Unterschied. Auf die Menge kommt es nicht an.

 

Jetzt ist mir wieder eingefallen, dass Jesus seine Jünger ganz ohne Schuhe losschickte. Jedenfalls erzählt das der Evangelist Matthäus. Markus meint, er hätte ihnen wenigstens Sandalen erlaubt. Im Markusevangelium steht: „Er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen, kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen“. Wer jetzt denkt, das wäre auf den staubigen Straßen Israels und Palästinas kein Problem, der hat Jerusalem noch nicht im Winterregen erlebt. Oder gar im Schnee.

 

Ehrlich gesagt: diese Aussendungsrede Jesu ist eigentlich eine Zumutung. Er sagt das auch so: „Ich sende Euch wie Schafe mitten unter die Wölfe“. Verwundbar, ungeschützt, barfüßig. Denn natürlich gab es auch im Heiligen Land Leute in Stiefeln – und es gibt sie immer noch. Uniformhosen in Soldatenstiefeln. Hochgerüstete junge Leute. Zur Zeit Jesu waren es römische Soldaten, die das Land besetzt hielten. Die vorwärts marschierten – ohne Rücksicht auf alles, was ihnen in die Quere kam. Kollateralschäden inbegriffen. Stiefel, die dröhnend daher stampfen – in der hebräischen Bibel haben sie keinen guten Klang. Der Prophet Jesaja hofft sogar, dass sie eines Tages überflüssig werden. Wenn der Messias kommt. Der Mensch einer neuen Zeit. Das Kind mit den zarten Füßen.

 

Jesus, der Wanderprediger, war mit Sandalen unterwegs. Jesus-Latschen, sagte man früher dazu – wer die trägt, geht fast schon barfuß. Da muss man genau hinschauen auf den eigenen Weg. Auf die Steine und die Schlaglöcher achten. Wer sich nicht stoßen und verletzen will, muss in Kontakt zum Boden bleiben. Mir ist aufgefallen, dass diese Art, durch die Welt zu gehen, wieder Konjunktur hat. Barfußschuhe sind nicht nur im Sport gefragt. Ganz leicht und biegsam sollen sie sein. Wer sie trägt, spürt jedes kleine Steinchen; das macht achtsam. Nicht nur für den eigenen Weg, sondern auch für die eigene Haltung.

 

Seit ich auf meine Schuhe achte, sind sie mir zum Symbol geworden. Die Soldatenstiefel und die Jesuslatschen.. Die alte Geschichte vom verlorenen Sohn fällt mir ein, der barfuß und vollkommen abgerissen zurück nach Hause kam. Sein Vater umarmte ihn, kleidete ihn ein – und sorgte dafür, dass er neue Schuhe bekam. So machen es viele, die sich in Kleiderkammern und Notunterkünften engagieren, damit andere wieder aufrecht durchs Leben gehen. Weil sie sich vorstellen können, in den Schuhen der anderen zu gehen, wie es in dem alten Sprichwort heißt.

 

Und wie gehe ich meinen Weg, wenn ich heute aufbreche? Welche Schuhe ziehe ich an? Es müssen nicht die Jesuslatschen sein im Winterwetter. Aber dass ich achtsam bleibe und nicht als Trampel durch die Welt laufe, das ist mir wichtig. Ab und an im Laufe des Tages werden mich meine Schuhe daran erinnern.

05.02.2017
Pfarrerin Cornelia Coenen-Marx