Muss eine Mutter immer bei ihren Kindern sein?

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Muss eine Mutter immer bei ihren Kindern sein?
23.07.2016 - 10:00
25.07.2016
Jan Schäfer

Über die Sendung

Auf den Gipfeln der Anden in Ecuador beginnen plötzlich Diskussionen darüber, wie eine Mutter leben soll. Jan Schäfer erzählt für die evangelische Kirche von den Unterschieden zwischen den Kulturen.

 

Sendung zum Nachlesen

Durch die herrlichen Anden

Drei Tage mit Rucksack und Zelt durch die Anden in Ecuador. Mein Reisepartner und ich und zwei einheimische Begleiter. Dazu ein ortskundiger Guide und ein Landwirt mit Pferden für die Ausrüstung. So haben wir es gebucht. Ein Tag vor Beginn der Wanderung bekommen wir eine Email. Ob wir mit einer zusätzlichen Wanderin einverstanden sind. Selbstverständlich. Wir sind neugierig und gespannt.

Die Gruppe trifft sich in der Nähe der Stadt Riobamba. Unser Guide ist ein erfahrender Bergführer, um die vierzig Jahre alt, ebenso wie der  Co-Führer mit den Pferden, ein Landwirt aus dem Ort. Und unsere Mit-Wanderin entpuppt sich als Europäerin. Eine Lehrerin Ende dreißig, die schon lange  in Ecuador lebt und arbeitet Sie spricht deutsch. Vom ersten Augenblick an sind wir drei Wanderer uns sympathisch.

 

Atemberaubende Ausblicke

Unser Weg in das Hochgebirge ist ein alter schmaler Pfad. Schon vor den spanischen Eroberern haben ihn die indianischen Einwohner benutzt. Er steigt steil an. Hunderte von Kilometern weit reiht sich Vulkangipfel an Vulkangipfel. Die Stille ist ungewohnt und einfach fantastisch. Aber die Luft wird dünn in 4000 Meter Höhe. Wir Europäer kommen an das Limit unserer Kräfte. Unsere Guides haben Verständnis dafür. Sie bauen unser Lager für die Nacht auf und kümmern sich um das Abendessen, während wir uns ausruhen können. Bei der ersten Tasse Tee kehren unsere Lebenskräfte zurück. Zum ersten Mal sitzen wir alle fünf zusammen und reden.

 

„Wo sind deine Kinder?“

In unserem  munteren Gespräch erzählt unsere Mitwanderin, dass sie vierfache Mutter sei. Unsere ecuadorianischen Begleiter schauen sie überrascht an.

Einer fragt: „Wo sind denn die Kinder jetzt?“

„Zu Hause, bei meinem Mann.“

„Wer passt denn jetzt auf die Kinder auf?“

„Mein Mann.“

Unsere Begleiter hören die Antworten unserer Mitwanderin, aber sie verstehen sie nicht. Eine vierfache Mutter, die durch die Berge wandert, ohne ihre Kinder, aber dafür mit zwei unbekannten Männern, und ein Ehemann, der sich in dieser Zeit freiwillig um die Kinder kümmert? Unglaublich. Auch als unsere Wanderfreundin Bilder von ihrer Familie auf dem Handy zeigt, verschwinden diese Zweifel nicht.

 

Was sind die Aufgaben von Frauen und Männern?

In den nächsten Tagen drehen sich die Unterhaltungen immer wieder um die unterschiedlichen Aufgaben von Frauen und Männern. Klar wird auch, dass unsere Begleiter und wir drei Europäer da keinen Konsens erzielen werden. Das müssen wir  auch nicht. Wir alle erleben die Grenzen unserer gegenseitigen Vorstellungen. Trotzdem haben wie die Wanderung gemeinsam weitergemacht und bis zum Ziel. Sie war ein großartiges Erlebnis, und ich habe dabei viel neues gesehen. Aber spannend für mich war auch die Erkenntnis, wie privilegiert ich bin in einer Gesellschaft zu leben in der alle Lebens- und Familienmodelle akzeptiert sind. In einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer die gleichen Rechte haben. In einer Gesellschaft, in der ganz selbstverständlich Männer in Elternzeit gehen und Frauen in dieser Zeit arbeiten gehen – oder wandern.

25.07.2016
Jan Schäfer