Schwul ist kein Schimpfwort

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Schwul ist kein Schimpfwort
09.07.2016 - 10:00
14.07.2016
Jan Schäfer

Über die Sendung

In der deutschen Gesellschaft hat sich die Situation homosexuell lebender Menschen verbessert. Doch nach wie vor erleben homosexuelle Menschen Diffamierung und Ausgrenzung, überall im Alltag. Jan Schäfer erzählt davon für die evangelische Kirche.

 

Sendung zum Nachlesen

Eine beliebte Beleidigung

„Guck mal, da kommt die schwule Sau!“

Der Satz wird nicht über den Schulhof gebrüllt. Er ist gerade so laut, dass der Schüler, der gemeint ist, ihn auch hört. Aber ich höre den Satz auch. Ich habe Pausenaufsicht auf dem Schulhof. Das Schimpfwort kommt von einer Gruppe Berufsschüler, die den Schüler  einer Parallelklasse entdeckt hat. „Schwule Sau“ ist unter den Top-Ten-Beleidigungen unter der Jugendlichen. Besonders bei Jungs.

 

Streit in der Klasse

Später im Unterricht konfrontiere ich die Jugendlichen mit dem, was ich  gehört habe. Einige relativieren und sagen: das war doch gar nicht wörtlich gemeint. „Das sagt man nur so“, sagen sie und: „Das ist einfach so ein Kraftausdruck.“ Aber ein anderer Schüler legt nach: „Schwule sind abartig, Schwulsein ist gegen die Natur.“ Einige murmeln zustimmend. Da wird es einem in der Klasse zu bunt. Er ergreift Partei und sagt, dass ihn die ganze Diskriminierung homosexueller Menschen ankotze. Sein bester Freund ist schwul, und Schimpfworte wie „schwule Sau“ sind für ihn unerträglich. Sofort ruft jemand:  „Bist wohl selber ’ne Schwuchtel.“ Die Aggression liegt in der Luft. Mit Mühe gelingt es mir, eine Eskalation zu verhindern. Und dann fragt mich einer der Schüler: “Was denken Sie denn über Lesben und Schwule?“

Ich antworte mit einer Gegenfrage: „Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie schwul sind und die Worte ‚schwule Sau’ hören?“ Ich kann im Gesicht des Schülers eine Mischung aus Ungläubigkeit und Empörung ablesen. Eine Antwort gibt er nicht. Aber im weiteren Verlauf der Stunde beruhigt sich die Situation. Ein Großteil der Klasse versteht, dass sich homosexuelle Mitschülerinnen und Mitschüler durch solche Worte ausgegrenzt und verletzt fühlen. Und einer der Schüler erzählt, dass 10 Prozent der Menschen homosexuell veranlagt seien. Also müssten in dieser Klasse mit 22 Schülern statistisch mindestens zwei schwul sein. Nur statistisch – versteht sich.

 

Homophobie muss verschwinden

Das Schimpfwort auf dem Schulhof, die Diskussion in der Klasse – dieser Vormittag hat mir vor Augen geführt, dass homosexuell veranlagte und lebende Menschen immer noch nicht bei allen akzeptiert sind.  Auch nicht unter Jüngeren und Jugendlichen. Und ich mache die Beobachtung, dass Ausgrenzung und Diffamierung wieder zunehmen.

Am 17 Mai dieses Jahres wird der internationale Tag gegen Homophobie und Transphobie begangen. Seit dem Jahr 2005 findet er jährlich statt. Dieser Tag erinnert daran, dass erst am 17. Mai 1990 die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität von ihrer Liste der psychischen Krankheiten gestrichen hat.

Der Tag gegen Homophobie und Transphobie erinnert daran, dass homosexuell lebende Menschen Diffamierung und Ausgrenzung erleiden mussten. Und immer noch erleiden müssen. Tag für Tag. In über 70 Staaten müssen Lesben und Schwule mit drastischen Strafen rechnen. In 9 Staaten ist ihr Leben bedroht.

 

Christen können nicht gegen Homosexualität sein

Wenn jemand „Schwule Sau“ sagt, dann sagt er in Wahrheit: es ist in Ordnung, dass homosexuelle Menschen bedroht und entrechtet werden.  Ich toleriere und ertrage das nicht. Weder im Klassenraum noch in anderen Bereichen unserer Gesellschaft. Es geht um meine Haltung und nicht zuletzt um meine Haltung als Christ. Wenn ich das menschliche Leben als Geschenk Gottes verstehe, kann ich bestimmte Formen dieses Lebens nicht ausgrenzen und diffamieren. Und schon gar nicht mich dabei auf die Bibel oder andere religiöse Schriften berufen. Dem Gott, der alles Leben schuf, dem gestehe ich zu, dass er dies ganz bewusst getan hat und auch weiterhin tut. In all seiner Vielfalt und Verschiedenheit, als homo-, bi- und heterosexuell liebende Menschen.

14.07.2016
Jan Schäfer