Being safe is scary

Wort zum Tage
Being safe is scary
documenta Nachlese 1
25.09.2017 - 06:20
20.09.2017
Angelika Obert

Meistens interessiere ich mich nicht für die Inschriften, die in goldenen Lettern hoch oben an historischen Gebäuden prangen. Aber diese eine, die im Sommer über dem Portal des Fridericianums in Kassel stand, hat mich doch sehr beschäftigt. Nicht ganz leicht zu entziffern: „Being safe is scary.“ Sicher zu sein, macht Angst. Es war der Beitrag der türkischen Künstlerin Banu Cennetoglu zur documenta. Sie hatte den Spruch als Graffito in Athen entdeckt und ihm als Inschrift über dem Fridericianum eine verstörende Weihe gegeben.

 

Sicher zu sein, macht Angst – was mag sich der Mensch dabei bloß gedacht haben, der diesen Spruch irgendwann an eine Häuserwand sprühte? In Deutschland klingt der Satz jedenfalls erst mal absurd. Hier leben wir doch wohl mehr oder weniger alle mit der Überzeugung, dass es die Sicherheit ist, die uns vor dem schützt, was Angst macht. Darum haben uns die Wahlplakate und Wahlwerbespots der letzten Wochen ja auch immer wieder Sicherheit versprochen – das erwarten wir von der Politik.

 

Sicherheit ist aber auch ein großes Hauptwort in der eigenen Lebensplanung. Es bereitet uns Kopfzerbrechen, wenn wir nicht gut abgesichert sind im Beruf und im Urlaub, und vor allem im Alter. Und schließlich wollen wir uns auch im Alltag keine Beulen holen, weswegen wir in Berlin jetzt auch im Bus ermahnt werden: „Zu Ihrer eigenen Sicherheit bitten wir Sie, sich während der Fahrt festzuhalten.“ Sicherheitsmaßnahmen all überall. Und selbst wenn sie wie die Ermahnung im Bus übertrieben sind, finde ich es immer schwierig, etwas dagegen einzuwenden. Schließlich könnte ja etwas passieren, was vielleicht nicht passiert wäre, wenn man sich abgesichert hätte.

 

Aber nun dieser freche Spruch: Being safe is scary. Sicherheit macht Angst. Ganz abwegig ist das ja nicht, denn jede Sicherheitsmaßnahme erinnert mich daran, dass tatsächlich irgendeine Gefahr drohen könnte. Natürlich werde ich da auf die Dauer ängstlicher, vor allem, weil mir dann auch die Sicherheitslücken auffallen, die sich nicht ausmerzen lassen. Je mehr ich damit beschäftigt bin, mich zu hüten, umso unbehüteter fühle ich mich. „Sicher zu sein, macht Angst“ – so absurd ist das auch wieder nicht.

 

Jesus hat es nicht so gesagt. Aber er hat doch immer gelehrt: Das Leben findet ihr nicht in der Sicherheit. Ich habe mich gefragt, wo das Wort Sicherheit in der Bibel überhaupt vorkommt. Habe nachgeguckt und eine erstaunliche Entdeckung gemacht: Im Neuen Testament ist nur ein einziges Mal von „absichern“ die Rede – und da geht es um das Grab Jesu. Pilatus sagt zu seinen Soldaten: „Sichert es so gut ihr könnt!“ (Matthäus 27,66)

 

Gott sei Dank war diese Sicherungsmaßnahme vergeblich. Wir dürfen alle Jahre Ostern feiern – den Sieg des Lebens über den Tod, das Ende der alles beherrschenden Angst.

 

20.09.2017
Angelika Obert