Alles richtig – trotzdem falsch

Alles richtig – trotzdem falsch
Samstags nach den Tagesthemen
01.08.2020 - 23:35
27.07.2020
Dr. Stefanie Schardien

Das Wort zum Sonntag

spricht Stefanie Schardien, Fürth

Sendedatum: Samstag, 01.08.2020, 23:35 – 23:40 Uhr, im Ersten

Guten Abend, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, ich weiß, es ist schon spät, aber: Wir müssen mal über Schuld reden. Solche Schuld, wie sie in dieser Zeit vermutlich immer wieder einige von uns spüren. Z.B. haben sich in der letzten Woche viele Menschen bei einer Trauerfeier mit Corona infiziert. Da geht es eigentlich um Trost, Abschied, um etwas Gutes. Und am Ende lasten auf einigen – die Verantwortung und vielleicht Schuldgefühle.

Wie bei mir: Vor zwei Wochen will ich eine alte Dame aus meiner Gemeinde im Krankenhaus besuchen. Es sieht nicht gut aus. Da stehe ich also morgens um 10 Uhr an der Pforte und höre: Besuchszeit ist ab 11. „Gilt das denn auch für die Seelsorge? Ich bin Pfarrerin…“ Aber es bleibt dabei: Besuchszeit ab 11. Als ich nachmittags wiederkomme, ist die Frau schon nicht mehr ansprechbar, und ein paar Stunden später ist sie gestorben. Klar kann ich mir sagen: Ich wollte die Abläufe nicht stören, niemanden gefährden, keine Extrawurst. Ich wollte mich an die Regeln halten: Eigentlich also alles richtiggemacht, und trotzdem bleibt sie für mich, die Schuld. Weil es der Frau vermutlich wichtig gewesen wäre, mit mir zu beten und für diese letzte Reise gesegnet zu werden. Ich kann da nicht einfach sagen, dumm gelaufen.

Oder vor ein paar Tagen: Da ruft mich ein Mann an, enttäuscht, wütend, weil er von unserer Gemeinde die ganze Zeit nicht angerufen wurde und seine Frau schwer erkrankt ist. Ich kann ihm erklären: Ich hab es doch probiert. Es ging keiner ran. Und dann standen erst die Alleinstehenden auf meiner Liste, und dann… Aber es hilft nichts: Ich bin ihm etwas schuldig geblieben. Und ich merke, dass sich Schuld nicht einfach aufwiegen lässt durch anderes, was man in dieser Zeit vielleicht supergut gemacht hat.

Wir leben jetzt seit sechs Monaten mit Corona. Viel, in der Politik, in der Gesellschaft, bei uns in der Kirche, haben wir total schnell gut gemacht. Und zugleich gibt es das, was vielen auf der Seele liegt. Zum Beispiel, dass wir Menschen isolieren mussten, dass sie unter Einsamkeit gelitten haben: Kinder, Betagte in den Heimen und Krankenhäusern. Denen sind wir als Angehörige, Freunde, Seelsorger etwas schuldig geblieben.

Wie gehe ich mit solcher Schuld um? Wenn ich im Vaterunser bete „Und vergib uns unsere Schuld“, dann meint das nicht irgendwelche Fehler, die sich schnell korrigieren lassen. Sondern es meint Schuld, aus der es keinen guten Ausweg gibt, die sich nicht wegerklären oder einfach wieder gut machen lässt. So wie den Abschied von der alten Dame aus der Gemeinde. Da gibt’s keine zweite Chance. Vergib uns unsere Schuld. Ich hoffe, dass Gott mich hört und einen Weg für mich freiräumt, wo ich mit meinem menschlichen Latein am Ende bin.

 

Was ich uns wünsche: Wir sollten verändern, was geht, besonders für alle, die in den letzten Monaten zu kurz kamen. Über alles andere, das Unlösbare, Verpasste sollten wir öfter ehrlich sprechen, miteinander und, wer will, auch mit Gott. Wenn wir so von der Schuld reden, dann ist das kein Schlussstrich unter dem, worüber man nicht gern spricht, sondern ein neuer Anfang.

Ich wünsche Ihnen allen eine gesegnete Nacht.

 

 

 

 

27.07.2020
Dr. Stefanie Schardien