Flüchlinge - ein Geschenk

Flüchlinge - ein Geschenk
Das Wort zum Sonntag mit Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
05.09.2015 - 23:35

„Oh, das wird schwierig!“ Das war vor zwei Wochen meine Antwort, als Jugendliche in einer Kirchengemeinde in Uganda das Gespräch mit mir gesucht haben. Diese Achtzehn- und Neunzehnjährigen hatten mich gefragt, ob es irgendeine Chance für sie gibt, nach Deutschland zu kommen. „Oh, das wird schwierig“, das habe ich mit ziemlicher Verlegenheit geantwortet. Denn eigentlich kenne ich die Problematik der Zuwanderung und die hilflos wirkende Debatte der letzten Wochen aus der anderen, aus der europäischen und deutschen Perspektive. Doch diese Jugendlichen in Ostafrika hatten mir schon vorher erzählt, dass sie gerade die Schulzeit im Gymnasium abgeschlossen haben. Sie waren normale Teenager, wie sie jedem von uns auch hier begegnen, mit normalen Wünschen und Ängsten im Blick auf die Zukunft. Und jetzt? Jetzt gibt es für sie keine Perspektive, auf einen teuren Platz an der Uni. Es gibt für sie aber auch keine Jobs. Es gibt für sie nur den Weg auf die Felder und in eine Armut, die wir uns hier kaum vorstellen können und in der eine Familie nur schwer zu ernähren ist.

Und ich? Ich hatte die gegenwärtigen Debatten um die Aufnahme von Flüchtlingen aus Afrika und dem Nahen Osten im Hinterkopf, die vielen Opfer, die den Weg zu uns nicht überleben, die brennenden Unterkünfte und die Menschen, die so unterschiedlich reagieren: Da gibt es ja nicht nur die Ängstlichen und Rechtsradikalen, die gegen Flüchtlinge demonstrieren, pöbeln und zündeln. Da gibt es auch die beeindruckend vielen Helferinnen und Helfer, die in Kommunen und Kirchengemeinden praktische Hilfe organisieren.

Und in diese Unterschiede hinein gibt es eben auch die immer wiederkehrende Ansage von Politikern, dass Asylverfahren beschleunigt und Wirtschaftsflüchtlinge dann zügig nach Hause geschickt werden sollen. Das ist eine eigenwillige Unterscheidung. Politisch Verfolgte verdienen in dieser seltsamen Logik mehr Hilfe und Barmherzigkeit, als sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“. Seltsam! Und: Können diese Unterscheidung und die beschleunigten Asylverfahren die Probleme lösen? Wohl kaum! Das werden auch die Verantwortlichen nur zu gut wissen. Nein, es wird im Bemühen um einen guten Umgang mit den Menschen mehr brauchen als eine Unterscheidung der Fluchtmotive. All diese Menschen verlassen doch nicht grundlos und leichtfertig ihre Heimat. Sie alle suchen ja nicht Wohlstand oder Luxus. Nein, sie suchen ganz einfach eine Perspektive für ihr Leben und das ihrer Familien.

So wie auch die Familie des dreijährigen syrischen Jungen Ailan Kurdi. Das Foto dieses toten Kindes schockiert die ganze Welt. Wer fragt da noch nach Fluchtmotiven?

Jetzt wieder nur betroffen zu sein, hilft nicht. Es braucht vor allem ein Bewusstsein dafür, dass diese Menschen mehr sind als ein Problem. Sie sind kein Problem, sie sind ein Geschenk! Ja, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, sie haben richtig gehört: ein Geschenk!

In der Bibel gibt es ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass Menschen in der Fremde ein Segen sein können. Abram ist im Alten Testament so jemand, dem der Weg in die Fremde zugemutet wird. Er ist mit seiner Familie geradezu ein Symbol für Menschen in der Fremde. Und dieser Fremde, Abram, bekommt die Zusage und den Auftrag Gottes: „Du wirst gesegnet sein. Und du sollst ein Segen für andere sein!“ Klar, wenn hier bei uns zunächst vieles für den nahenden Winter zu organisieren und auch zu finanzieren ist, kann das schnell aus dem Blick geraten. Aber ich bleibe dabei: die Menschen, die da als Fremde zu uns kommen, sind keine Zumutung. Sie sind vor allem ein Segen für uns. Dieser Segen Gottes könnte Ihnen schon morgen in Ihrem Stadtteil begegnen - in den Menschen, die als Flüchtlinge und Fremde zu uns nach Deutschland gekommen sind. Sicher ist dann: Sie erleben einen gesegneten Sonntag!