Gefahren des Vergessens

Gefahren des Vergessens
18.04.2015 - 23:05
13.04.2015
Pfarrer Dr. Wolfgang Beck

Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer,

na gut, dass die Ansprache eines Papstes große Beachtung findet, das kommt nicht so ganz häufig vor. Doch am letzten Sonntag war das anders. Ich habe noch einmal nachgelesen, was Papst Franziskus gesagt hat, als er in Rom im Beisein ranghoher Vertreter der Armenischen Kirchen den Heiligen Gregor von Narek geehrt hat. „Üblicher Kirchenkram aus Rom“, werden viele Menschen denken.

Dass die Ansprache eines Papstes aber zu größeren diplomatischen Verwicklungen führt, kommt eben doch nicht so häufig vor. Da wird schnell klar, dass es eben nicht nur um einen wenig bekannten Armenischen Mönch ging. Dieser Mönch und Theologe aus dem 9. Jahrhundert wurde wohl auch deshalb als Kirchenlehrer geehrt, weil er die großartige Geschichte und tiefe Frömmigkeit der armenischen Christen repräsentiert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben die im Osmanischen Reich ein unbeschreibliches Schicksal erlitten. In der nächsten Woche jährt sich der Beginn dieser schlimmen Ereignisse zum 100. Mal.

Die Verarbeitung dieser Geschichte wird dadurch verhindert, dass sich in der Türkei auch heute noch so viele schwer mit ihr tun, auch der Staatspräsident. Da sind über eine Millionen Menschen auf brutale Weise umgebracht worden, in ganzen Landstrichen ist eine Kultur eliminiert worden und es sollte nicht von einem Genozid, von einem Völkermord gesprochen werden dürfen? Seriöse Historiker und auch Kulturschaffende in der Türkei lassen daran keinen Zweifel. Die historischen Belege sind zahlreich und erdrückend.

Natürlich sind wir hier in Deutschland ganz sicher nicht in der Position, anderen Nationen beim Umgang mit ihrer Geschichte Nachhilfe zu erteilen. Bestimmt nicht! Schließlich hat auch die damalige deutsche Regierung die Tragödie ignoriert und verschwiegen. Außerdem musste doch auch bei uns vor allem in den 1950er und 1960er Jahren des letzten Jahrhunderts erst gelernt werden, bittere Wahrheiten und eigene Schuld zu benennen und damit verantwortungsvoll für die Gegenwart umzugehen. Und wir haben bis heute ständig diejenigen vor Augen, die auch bei uns nichts aus der Geschichte lernen mögen. Nein, um ein Belehren und um Besserwisserei gegenüber der Türkischen Gesellschaft darf es da nicht gehen, schon gar nicht hier in Deutschland.

Aber in unserem Land wurde eben auch deutlich, wie wichtig es sein kann, sich ehrlich der eigenen Vergangenheit zu stellen: Das ist bitter. Das ist schmerzhaft. Und es kränkt vielleicht den eigenen Stolz. Doch wie im persönlichen Reifen eines einzelnen Menschen ist dieses schmerzhafte Eingeständnis der eigenen Geschichte und ihrer Opfer auch für eine Gesellschaft im Ganzen wichtig. Es ermöglicht, aus Erfahrungen zu lernen und zu einer Größe zu finden, die auf mehr als Wirtschaftsdaten und der Größe von Präsidentenpalästen aufbaut. Es ist eine wichtige Erkenntnis: Größe und Selbstbewusstsein entstehen nicht durch Leugnen, sondern durch Ehrlichkeit mit sich selbst. Solche Größe ist den Menschen in der Türkei zu wünschen. Erst aus solcher Ehrlichkeit kann Hoffnung für unsere armenischen Mitchristen und für misshandelte Menschen in der ganzen Welt entstehen. Danke, Papst Franziskus, für die offenen, mutigen Worte!

Und Ihnen einen guten Sonntag.

13.04.2015
Pfarrer Dr. Wolfgang Beck