Meines Bruders Hüter?

Meines Bruders Hüter?
Das Wort zum Sonntag von Pfarrer Alfred Buß
17.10.2015 - 23:40

Soll ich meines Bruders Hüter sein?

 

Am Montag ein bei der Demo mitgeführter Galgen in Dresden, am Samstag ein böses Messer-Attentat in Köln. Fremdenfeindlichkeit als Motiv – hier wie dort. Der Angreifer stach der Oberbürgermeisterkandidatin für Köln, Henriette Reker mit einem Messer brachial in Hals. Ihre Luftröhre wurde schlimm verletzt. Mit ihr vier weitere Menschen. Ein offensichtlicher Mordversuch. Schlagartig wurde klar, wie verletzbar Leben ist, wie dünn unsere Haut. Plötzlich war Frau Reker nur einen Atemzug, vielleicht ein paar Millimeter weit vom Tod entfernt – und mit ihr die anderen Opfer auch. Das konnte doch nicht wahr sein.

 

Doch, es war Realität. Gott sei’s geklagt. Und es zeigt, wohin Hassparolen, Brandanschläge oder Galgensymbole führen. Offenbar ermuntern sie Menschen dazu, nun ihrerseits Hand anzulegen - erst recht psychisch labile und vom Leben nicht gerade verwöhnte, wie in diesem Fall. Wer seit Jahren ohne Arbeit ist und vom Hartz IV-Regelsatz lebt, mag Fremde, die sich zu uns flüchten, als Konkurrenten ansehen – das lässt sich vielleicht noch verstehen. Und doch rechtfertigt das keinerlei Gewalt. Und auch keine zur Gewalt anstachelnde Hetze. Schon gar nicht zur – vermeintlichen - Verteidigung des Christentums gegen fremde Menschen und Religionen.

 

Wer sich auf’s Christentum beruft, der beruft sich auf die Bibel – ob er will oder nicht. Die Bibel kennt die Realität. Auch die Fragen, die Menschen umtreiben. Es sind die alten Fragen der Menschheitsgeschichte, seit Kain und Abel. Werde ich gerecht behandelt? Kriege ich Anerkennung? Wehe, wenn nicht! Kain, so erzählt die Bibel, schlug seinen Bruder Abel tot. Weil er sich ungerecht behandelt fühlte. Weil er anerkannt sein wollte. Bevor er zuschlug, senkte sich finster sein Blick. Dieser finstere Blick verwünscht anderen Menschen das Leben, gönnt Flüchtlingen nicht einmal Zuflucht und Obdach. Und setzt auf Gewalt. Kain schlug seinen Bruder tot.

 

Eine solche Tat bleibt nicht folgenlos: Vergossenes Blut schreit zum Himmel. Immer. Da fragte Gott Kain: Was hast du getan? Kain wird vom Hüter des Lebens in die Verantwortung gerufen. Soll Antwort geben: Was hast du getan?

 

Kain antwortete darauf frech, ja unverschämt: Soll ich meines Bruders Hüter sein? In der frechen Gegenfrage aber steckt schon die ganze Antwort: Ja, unseres Bruders, unserer Schwester Hüter und Hüterin sollen wir sein, aufeinander Acht geben.

 

Das ist sehr viel anstrengender, als auf sein angebliches Recht zu pochen und andern die Tür zu weisen. Das zeigt das Engagement der vielen Helferinnen und Helfer bei den Flüchtlingen dieser Tage. Das zeigt auch der couragierte Einsatz von Polizisten, Sanitätern, Ärzten, Politikern und zufällig Anwesenden heute. Hüterin und Hüter seines Mitmenschen zu sein, egal welcher Herkunft, Nationalität oder Hautfarbe – das ist der einzige Weg aus der Spirale von Hass und Gewalt.

 

Gott behüte nun Frau Reker und alle Opfer, die unter Hass und Gewalt leiden. Und behüte sie alle.