Sterbehilfe und die Kirchen

Sterbehilfe und die Kirchen
Das Wort zum Sonntag von Pfarrer Dr. Wolfgang Beck
07.11.2015 - 22:30

Er freut sich schon auf den Joghurt, den es heute wieder zum Mittagessen dazu gibt. Und auch, dass die eine Krankenschwester beim Bettenmachen immer singt, das genießt er richtig: "Wenn sie geht, freue ich mich schon auf den nächsten Tag!" Kleine, sehr kleine Freuden eines alten Mannes. Er hatte klar, dass er nicht mehr lange leben würde. Und dieser einfache Satz hat mich wirklich berührt.

 

Egal, ob im Pflegedienst während meines Studiums oder als Pfarrer in Kliniken und Altenheimen: der Umgang von Menschen mit ihrem Sterben geht mir jedes Mal sehr nah. Er ist nämlich sehr verschieden, individuell. Da gibt es den alten Herrn, der wegen des Joghurts und der singenden Schwester immer noch Freude am Leben hat. Und da gibt es die Frau, die gar keine Schmerzen hat, aber trotzdem keine Kraft mehr zum Leben aufbringt und sich entschieden hat, einfach nicht mehr zu essen.

 

Äußerst individuelles Erleben

Das individuelle Erleben ist sehr unterschiedlich. Es erfordert von allen Beteiligten, genau hin zu schauen. Dieser Individualität auch den geeigneten gesetzlichen Raum zu geben, war die Herausforderung im Bundestag bei der gestrigen Abstimmung. Immerhin soll der Bereich der Sterbehilfe nicht Teil des kommerziellen Medizin- und Pflegemarktes werden.

 

Sicher spricht es für die Debatten in unserer Gesellschaft und in unserem Parlament, wenn so intensiv diskutiert wird, wie im Umgang mit der Sterbehilfe. Die Positionen wurden unabhängig von der Parteizugehörigkeit vertreten. Und es verwundert nicht, dass auch bei den Kirchen keine Geschlossenheit in der Einschätzung vorzufinden ist.

 

Sozialer Druck zum Suizid

Natürlich gibt es da das klare Eintreten für den Lebensschutz und die vehemente Forderung, dass insbesondere die ambulanten Palliativteams endlich flächendeckend ausgebaut werden müssen. Dafür gibt es jetzt die rechtlichen Grundlagen. Es bleibt aber auch die Sorge, dass die Möglichkeit für einen assistierten Suizid allein durch seine tatsächliche Ermöglichung auch Werbeeffekte entwickelt oder sogar einen sozialen Druck, den Angehörigen nicht zur Last fallen zu wollen.

 

Auf der anderen Seite wird die Schärfe dieser Position sehr schnell dann milder, wenn sich in der eigenen Familie, bei den eigenen Angehörigen die Frage stellt. Und wohl niemand von uns kann mit Sicherheit ausschließen, selbst einmal um Sterbehilfe zu bitten. Verzweiflung und Not lassen sich nicht planen.

 

Hier wird deutlich: Gerade in so einem sensiblen Thema, in dem es um todkranke Menschen und unerträgliche Schmerzen geht, dürfen auch kirchliche Vertreter ihre Sicht nicht so vehement vertreten, dass sie sich damit als Begleiter der Menschen disqualifizieren.

 

Nahe sein und begleiten

Deshalb ist es wichtig, dass nach den heftigen Debatten und manch einseitiger Positionierung von Bischöfen und Parlamentariern jetzt alle wieder zu den entscheidenden Aufgaben zurückfinden: den Kranken und Sterbenden zu sagen und sie spüren zu lassen: "Wir sind euch nahe und begleiten euch in der Pflege, in Gebeten und Seelsorge" – und eben auch auf Wegen und bei Entscheidungen, die wir eigentlich ablehnen und lieber verhindern würden.