Die Angst im Nacken

Die Angst im Nacken
Pfarrer Stefan Claaß
31.10.2015 - 23:35

Jemand steht hinter Dir!

Da ist jemand hinter Ihnen! Wie hört sich das an? Oder: Da steht jemand hinter Ihnen! Wie fühlt sich das jetzt an? Im ersten Fall ziemlich unangenehm: mir sitzt  einer im Nacken, macht mir Druck. Im zweiten Fall das genaue Gegenteil: jemand steht hinter mir und hält mir den Rücken frei.

 

Heute, dieser Tag, der 31.Oktober, gehört einem Menschen, der beides erlebt hat.

Die Angst, zu versagen und nicht gut genug zu sein. Als ob ihm einer im Nacken sitzt und ihn antreibt, jeden Tag. Was er auch versucht, die Angst hat ihn im Griff.

Und dann erlebt er, wie sich seine Erfahrung komplett umkehrt. Statt Angst und Druck im Nacken, erfährt er, dass jemand hinter ihm steht und ihm Deckung gibt. Das kann er nicht für sich behalten. Und so teilt dieser Mensch - Martin Luther - seine Erfahrungen öffentlich mit - genau am 31. Oktober 1517. Damit verändert er den Lauf der Geschichte. Und viele Menschen erkennen sich darin wieder, bis heute. Süßes statt Saures in der Begegnung mit Gott. Rückendeckung statt Angst im Nacken.  

 

Wenn ich mich aktuell umschaue, sehe ich auch heute viele Menschen, denen Angst im Nacken sitzt. Anders als bei Martin Luther, aber ihr Leben ist bedrängt von Angst. Angst vor dem nächsten Tag. Angst vor dem Alter. Angst vor Flüchtlingen. Angst vor Gewalt. Bei Luther kam die befreiende Erfahrung aus der Einsicht: Da steht jemand wirklich hinter mir! (auf Kreuz im Hintergrundbild zeigen). Für ihn war das keine nebulöse höhere Macht, sondern Gott, wie er sich in Jesus Christus zu erkennen gibt. Der hat gesagt: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben.“ ( Joh 14, 19) Das ist sein Satz: Ihr sollt auch leben. Dafür hat er sich eingesetzt, um uns am Ende auch noch die Angst vor dem Tod zu nehmen.  

 

„Ein Christ ist ein freier Mensch und niemandem untertan!“ So hat Luther geschrieben und dieser Satz wird bis heute immer wieder zitiert. Aber Luthers Pointe war: Ich bin so frei, weil Gott mir den Rücken freihält. Und dann hat Luther einen zweiten Satz hinzugefügt: Weil ich ein freier Mensch bin, kann ich anderen Menschen zu Diensten sein und ihnen beistehen. Wer den Rücken frei hat, hat auch die Hände frei.

 

Heutzutage konzentrieren sich viele Menschen auf den 1. Satz und sagen sich: Ich bin frei und niemandem untertan. Auch Gott nicht. Ich glaube, das ist ein ganz großer Verlust. Wenn Gott nicht da ist, setzen sich andere Mächte und Gewalten mir in den Nacken. Das kann irgendeine Angst sein. Oder der Druck, erfolgreich zu sein oder beliebt. Oder Abneigung gegen andere bis hin zum Hass. So ein besetztes Leben wirkt auf mich alles andere als frei. Da kommt nichts Gutes dabei raus, weder für mich noch für andere.

 

Schaffen wir es? wird zu Zeit oft gefragt. Schaffen wir es zu leben, ohne dass Angst und Hass uns im Nacken sitzen und uns steuern?

Ich glaube: Ja - mit Gottes Hilfe. Gesegneten Sonntag!